„Lieblingsthemen“ – Wenn Christen sich festbeißen

Eine Geraer Kirchengemeinde träumt von einer Partnergemeinde in den USA. Bei einer Reise wagt Uwe Heimowski den Schritt nach vorne und fällt grandios auf die Nase.

What do you think about abortion, what is your opinion about same sex marriage?“ Die Worte schossen aus dem Mund der Frau wie Pfeile. Ihr Finger bohrte sich in mein Brustbein, ihr Blick fixierte mich unnachgiebig. Ich fühlte mich wie angenagelt. Dabei hatte ich doch nur eine vorsichtige Frage gestellt.

Seit 2002 unterhält unsere Kirchgemeinde in Gera eine verbindliche Partnerschaft mit einer Baptistengemeinde in Rostov am Don (Russland). Wir besuchen uns gegenseitig, ler-nen viel voneinander, und die Geraer Gemeinde unterstützt mit Spenden die wohltätige Arbeit der Christen in Russland. Sie arbeiten unter Straßenkindern, besuchen AIDS-kranke Frauen im Gefängnis, gestalten Ferienprogramme für Flüchtlingsfamilien aus Tschetschenien oder engagieren sich für ihr Gemeinwesen: In einer Sommeraktion renovierten sie einen städtischen Spielplatz in Rostov. Ein Jahr später halfen sie uns bei einem ähnlichen Projekt in Gera.

IM ZEICHEN DER VERSÖHNUNG

Unsere Freunde sind theologisch und ethisch stockkonser-vativ. Frauen tragen Kopftuch im Gottesdienst. Christen rauchen nicht, trinken nicht, besuchen keine weltlichen Veranstaltungen. Wir dagegen sind in der Lebensgestaltung eher liberal. Das war nie ein Problem in der Partnerschaft. Wir glauben uns gegenseitig unserer Glauben – und machen uns stark für sozial-diakonische Projekte.

Die Partnerschaft lebt. Und doch hatte ich seit Jahren einen Traum: Wäre es nicht schön, noch einen dritten Part-ner zu haben? Eine amerikanische Gemeinde mit ins Boot zu holen und dann gemeinsam Projekte anzuschieben? In Gera, der kleinen Großstadt im Osten Thüringens, wäre das doch ein deutliches Zeichen der Versöhnung: Russen, Amerikaner und Deutsche setzen ein Zeichen für den Frieden. Sieben Jahrzehnte nach dem zweiten Weltkrieg, ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges. Ehemals verfeindete Nationen arbeiten für den Frieden. Als Christen. Was für ein starkes Symbol!

Jahrelang hatte ich nach einer Gelegenheit Ausschau ge-halten, einen US-Partner zu finden. Nichts Greifbares hatte sich ergeben. Nun schien meine Gelegenheit gekommen zu sein. Ich war Teil einer Delegation meiner Heimatstadt zu einem Partnerschaftsbesuch in den USA. Fort Wayne (Indiana) ist eine Partnerstadt von Gera. Ebenso wie Rostov am Don. Uns lag das als Gemeinde am Herzen: die kirchliche Partnerschaft mit der städtischen Partnerschaft zu verknüpfen. Das gäbe dem Projekt einen Horizont mit größerer gesellschaftlicher Relevanz, fanden wir.

Der Besuch war herzlich. Wir wurden fantastisch empfangen. „Sister cities“ stehen in den USA hoch im Kurs. Ein folkloristisches Chorensemble hatte extra für uns ein deutsches Lied einstudiert: „Musidenn musidennn zoom städdele hinaaauuus“. Empfänge, Kulturveranstaltungen, Stadtführungen – ein buntes Programm wurde uns geboten. Bei jeder Gelegenheit erzählte ich von meinem Anliegen, im-mer wieder fragte ich nach Kirchen. Endlich fand ich Gehör. Man stellte mir die Frau des Pastors einer der örtlichen Bap-tistengemeinden vor. Hocherfreut schilderte ich ihr mein An-liegen. Doch ich hatte kaum geendet, da schoss ihr Zeigefinger auf mich zu: „Was denkst du über Abtreibung, wie ist deine Meinung zur gleichgeschlechtlichen Ehe?“ Zu perplex um zu antworten, murmelte ich eine Höflichkeitsfloskel und befreite mich so schnell es ging aus ihrem verbalen Kugelhagel.

IM SCHNELLCHECK DER RECHTGLÄUBIGKEIT

Was war das denn? Ich hatte von Frieden erzählt, von Pro-jekten für das Gemeinwohl, von einem gemeinsamen Zeugnis als Christen. Und sie hatte mich einem „Quick-Scan“ unterzogen. Einem Schnellcheck auf Rechtgläubigkeit. Ich fühlte mich grottig: unverstanden, abgelehnt, angeprangert. Und ich verlor den Mut. In diesen Tagen in Fort Wayne fand ich einige Freunde, aber keine Partnergemeinde. Um nicht missverstanden zu werden: Es geht mir hier nicht um Anti-Amerikanismus. Mir ist das Erlebnis in anderer Weise beispielhaft. Immer wieder treffe ich Christen, die das Christensein auf einige wenige Themen reduzieren. Sexualethik ist da besonders beliebt.

Wie kommt das nur? Lebensschutz steht auch bei mir hoch im Kurs. Und die Ehe zwischen Mann und Frau halte ich für eine schützenswer-te Institution. Ich bin durchaus wertkonservativ. Aber sind das wirklich die Nummer-Eins-Themen eines Christen? Sind der Einsatz gegen Abtreibung und die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft die Maßeinheiten für einen gesunden geistlichen Blutdruck? Könnte das nicht auch Gerechtigkeit sein? Und Frieden? Und Menschenrechte? Und eine Stimme für alle Armen und Unterdrückten? Ist nicht der Kampf gegen die Diskriminierung von Lesben und Schwulen ebenso eine christliche Tugend wie der Einsatz für Ehe und Familie? Sind nicht Straßensozialarbeit unter Teenagern und ver-trauensvolle Familienhilfe die eigentliche Präventionsarbeit gegen Abtreibung? Wo sind wir Christen da?

Mittlerweile haben wir den dritten Partner im Boot, eine presbyterianische Kirche aus Cross Roads / Virginia. Ebenfalls konservativ. Ziemlich konservativ. Und zugleich einem höheren Ziel verpflichtet: der Völkerverständigung. Wir arbeiten gemeinsam für den Frieden.

Uwe Heimowski (50) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich, Stadtrat, Vater von fünf Kindern, Ehemann und Gemeindereferent in der Evangelisch freikirchlichen Gemeinde Gera.

Einfluss nehmen und gestalten

Wie kommen Männer im Leben voran? Indem sie die Kunst der Selbstführung einüben. Ein Gespräch mit Thomas Härry, dem Autor des Buches „Die Kunst sich selbst zu führen“.

Pastor Bill Hybels hat schon vor Jahren gesagt, die Führungsaufgabe bestehe zu rund 50% aus Selbstführung. Würden Sie beipflichten?

Es scheint mir noch fast zu tief angesetzt. Eigentlich hat fast jede Situation, in der wir Verantwortung tragen, mit Aspek-ten von Selbstführung zu tun.

Warum ist Selbstführung derart wichtig?

Weil ich immer die erste Person bin, die agiert. Ich agiere und reagiere in meinem Kontext – in der Familie oder im Job. Dabei bin ich fortlaufend daran, Entscheidungen zu treffen – oft auch unbewusst.

Warum tun sich Menschen mit Selbstführung so schwer?

Eine erstaunlich große Zahl von Menschen ist nicht darin geübt, sich selbst zu reflektieren. Sie sind es nicht gewohnt, hinzuschauen und eigene Anteile zu erkennen. Sie verpassen es, aktiv zu gestalten und lassen sich stattdessen einfach treiben, ohne zu hinterfragen.

Was ist Ihr Verständnis von Selbstführung?

Es geht um das Zusammenspiel von Verantwortung und Freiheit. Ich übernehme die Verantwortung für alles, was ich mache. Für mein Denken, Fühlen, Reden. Und ich lebe die mir geschenkte Freiheit: Ich nutze meinen Gestaltungsrahmen. Viele Leute sagen: „Weißt du, in meinem Umfeld geht das gar nicht.“ Es wird zum Killersatz, aber auch zur Ausrede: „Ich kann hier gar nicht gestalten.“

Wie haben Sie die Wichtigkeit der Selbstführung in Ihrem Leben entdeckt?

Vor allem in Konfliktsituationen, besonders in der Ge-meindearbeit. Beim Leiten von Menschen. Überall wo es verschiedene Interessen und Missverständnisse gibt. Und im Umgang mit mir selbst, mit meiner überbordenden Ten-denz, zu viel zu wollen. Hier galt und gilt es, zu lernen, mich einzuschränken. Zu lernen, am rechten Ort „Nein“ zu sagen.

Haben Sie ein aktuelles Beispiel, das Sie selbst gerade fordert?

Ein Veranstalter fordert immer mehr Leistungen für densel-ben Preis. Wie kann ich diesen Punkt ansprechen und damit den negativen Gefühlen, ausgenutzt zu werden, vorbeugen? Wenn ich mich hier nicht selbst gut führe, verlasse ich am Ende die Veranstaltung mit der „Faust in der Hosentasche“ und bemitleide mich als ausgenutztes Opfer.

Man sollte sich also nicht in der Opferrolle suhlen?

Ja. Absolut!

Von der Kanzel höre ich sonntags: Überlass die Verantwortung für dein Leben Gott. Steht Selbststeuerung nicht im Konfl ikt zu „Dein Wille geschehe“?

Aus meiner Sicht nein. Gott hat es off enbar so gewollt, dass der Mensch gestaltet, entscheidet, ordnet. Es ist ein Ausdruck davon, Gott nicht ernstzunehmen, wenn wir diese Verant-wortung von uns weisen. Es ist eine fromme Form der Verweigerung, wenn wir die Verantwortung Gott abschieben.

Sie ermutigen dazu, „aus Gottes Ressourcen zu schöpfen“. Wie tut man das?

Zum einen, indem ich überall den Raum einnehme, den Gott mir sowieso schon gegeben hat. Er erlaubt mir, in Situation nach bestem Wissen und Gewissen Einfl uss zu nehmen für das Gute. Zum anderen ganz konkret überall dort, wo ich schwierige Entscheide zu treffen habe. Wo es mich etwas kostet, kann ich Gott bitten, mir den Mut zu schenken, mich nicht zu verbiegen.

Sehr spannend fi nde ich den Ansatz, dass wir manchmal nur zwischen „Falsch“ und „Falsch“ auswählen können. Was meinen Sie damit?

Das beste Beispiel dafür ist Dietrich Bonhoeff er, der sich entscheiden musste, sich mit Gewalt gegen das verheeren-de Hitlerregime zu stemmen und sich dadurch schuldig zu machen. Oder um seiner Sicherheit willen nichts zu unternehmen, während viele weitere Menschen ihr Leben lassen. Beide Optionen sind letztlich falsch.

Und wie kann ich damit umgehen, wenn scheinbar jede Option falsch ist?

Einige Kriterien können helfen: Welchen Weg erachte ich intuitiv als den richtigen? Darauf alleine würde ich mich  jedoch nicht zu sehr stützen. Wichtig sind auch gute Ratgeber, weise Mitmenschen, die mich unterstützen. Die Bibel und ihre Grundwerte können zudem als Grundlage zur Einschätzung dienen. Und dann: Mach nicht nichts! Entscheide, etwas zu tun! Du musst am Ende nicht in jedem Fall wissen, ob es richtig oder falsch ist. Überlass Gott das Urteil.

Sind nicht einige Leute auch aus Angst, dass Gott eines Tages mit uns abrechnen wird, blockiert?

Wer Angst hat, Fehler zu machen, bildet sich ein, ohne Feh-ler leben zu können. Das hat viel mit falschen Menschen- und Gottesbildern zu tun. Männer müssen manchmal aus ihrer Komfortzone geholt werden.

Sie schreiben, wir seien von Gott nicht nur begnadigt, sondern auch ermächtigt. Was heißt das praktisch?

Ich darf mir eine Meinung bilden, entscheiden und vor-wärtsgehen. Natürlich in einem gewissen Rahmen. Er-mächtigt zu sein, heißt gestalten. Der Mensch darf Einfl uss nehmen. Wie es im Schöpfungsbericht heißt: „Du sollst herrschen!“ Mach etwas, du darfst, es ist okay!

Warum sollten Männer Ihr Buch lesen?

Weil wir in einer Zeit leben, in der Männer ganz viel der Ermächtigung über Bord geworfen haben. Es gibt viele ge-schwächte Männer, die angepasst leben, die nur ihren Frei-zeit- oder Karrierebereich aktiv gestalten. In den anderen Bereichen erdulden sie bloß und schwimmen mit. Ich wün-sche mir, dass Männer mutig ihr gesamtes Leben als einen großen Garten sehen, den sie bewirtschaften können.

Herzlichen Dank für das Gespräch! 

Stefan Gerber ist Theologe im Bundes-Verlag (Schweiz), Leiter der Netzwerk-Kirche „gms – gospel movement seeland“ und freiberufl ich als Seminarleiter und Coach im Bereich Life-Balance www.motivation-training.ch tätig. Er ist verheiratet mit Brigitte Gerber-Urfer und Vater von Joy Nina (11) und Janosch Noah (8).

Gewinnspiel

Von der Kunst sich selbst zu führenUnter allen, die unter diesem Artikel ihre Erfahrung mit Selbstführung schildern, verlosen wir eins von drei Exemplaren des aktuellen Titels von Thomas Härry „Von der Kunst sich selbst zu führen„.

 

„Männer wollen keinen Stuhlkreis!“

Der katholische Militärbischof Dr. Franz Josef Overbeck begleitet Männer inmitten kriegerischer Auseinandersetzun-gen. Ein Ex-Zivi sprach mit ihm über Pazi-fismus, Verletzungen und den männlichen Glauben.

Papst Franziskus verurteilte Christen, die in die Waffenindustrie investieren, als Heuchler. Unter-stützen Sie mit Ihrem Militärbischofsein nicht diese Sparte?

Die Seelsorge ist für alle Menschen da. Sie stellt sich auch uneingeschränkt zu den Soldatinnen und Soldaten. Sie will ihnen in dem Friedensdienst beistehen, den sie für diese Welt leisten.
Ja, es gibt auch eine überbordende Waffenproduktion, die eine Einladung zu noch mehr Gewalt, Tötung und Korruption ist. Von daher begrüße ich die Kritik des Papstes.
Das einfache Block- und Konfliktdenken des „Kalten Krieges“ wurde in den letzten Jahren von komplizierten und vielschichtigen Auseinandersetzungen überholt. Auch die Bundeswehr ist beteiligt im Kongo, in Afghanistan, im Kosovo. Muss Kirche da nicht grundsätzlich auf der Seite der Pazifisten stehen? Kirche muss an der Seite aller Menschen stehen. Sie ist gefordert, dies mit einem gesunden Realismus zu tun. Man kann an der Geschichte sehen, dass der vor fünfundzwanzig Jahren mit dem Mauerfall geträumte Traum von einer friedlicheren Welt geplatzt ist. Spätestens die Ereignisse auf der Krim und der Vormarsch des IS im Irak und in Syrien führen vor Augen: Mit dem Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“ allein ist keine Politik zu machen.

Schafft man Gerechtigkeit und Frieden mit der Maxime „Gewalt gegen Gewalt“? Lehrt nicht gerade der Irak- und Afghanistankrieg, dass sich dadurch unkontrollierbare Dominoeffekte in Gang setzen? 

Das Böse ist ein unbestreitbares Faktum in dieser Welt. Wir leben in einer Welt, die nicht frei von Sünde ist. Von daher müssen wir uns damit arrangieren, dass Gewalt, Streit, Aggression und Hass zum Menschsein dazugehören. Das sollte uns aber nicht hindern, Menschen und Initiativen in ihrer Friedfertigkeit, in ihrem Willen zum Frieden zu unterstützen. Zu einem gesunden Realismus und zur Schadensbegrenzung gehört es aber auch, dass sich Gewalt vielfach nur durch die Androhung von Gewalt verhindern lässt. Dabei bleibt eines klar: Gewalt ist immer ein Übel.

Was sind ihre ureigentlichen Aufgaben als katholischer Militärbischof?

Meine originäre Aufgabe als Militärbischof ist es, den Ka-tholiken in der Deutschen Bundeswehr die Seelsorge, das Glaubenswissen und die Sakramente der Kirche zugänglich zu machen.
Mit welchen Anliegen wenden sich Soldaten an Sie? Mit ganz normalen Fragen, die auch jedem anderen Seelsorger gestellt werden. Große Themen, die die Soldaten beschäftigen, sind natürlich die Fragen nach Gewaltanwendung, Gewalterfahrung und nach Kriterien für die Gewissensbildung, um eine belastungsfähige Grundlage für eigene Entscheidungen zu haben.

Sie begleiten unter anderem auch Soldaten, die aus den Krisengebieten zurückkehren. Was macht deren Heimkehr so schwierig?

Die meisten Soldaten gehen sehr professionell mit ihrem Beruf um. Viele kommen aus Einsätzen wieder und knüpfen nahtlos an ihrem Alltag an wie jeder andere Arbeitnehmer auch. Doch wir erleben auch Menschen, die mit einer „posttraumatischen Belastungsstörung“ zurückkehren, oder die plötzlich Mühe haben, sich hier wieder sozial einzuleben, denen es nach den vielen Monaten im Ausland schwerfällt, in Partnerschaften, Ehen und Freundeskreisen sprichwörtlich einen Fuß auf den Boden zu bekommen.

Was tut die Kirche in diesen Krisen?

Die Militärseelsorger nehmen Anteil an den Sorgen, Nöten und Konflikten der Soldaten. Sie hören zu, trösten und bieten Orientierung in Lebens- und Glaubensfragen – gerade angesichts der extremen Erfahrung von Verwundung, Sterben und Tod.

Ist Krieg nach Ihrer Einschätzung vor allem ein männliches Phänomen?

Ja! Das fängt mit dem ersten in der Bibel geschilderten Konflikt an und setzt sich in den Krisenherden dieser Welt fort. Gewalt ist zuallererst ein männliches Problem.

Sie haben einmal gesagt: „Krieg verändert die Seele“. Was wollten Sie damit ausdrücken?

Krieg verändert die Seele eines Menschen, weil das Gewaltpotenzial das eigene Innere zerreißen kann. Die Soldaten sind in die Spannung gestellt, entweder Gewalt anzuwenden oder Gewalt zu erleiden. Wenn die Selbstverteidigung als Ultima Ratio nötig wird, kommt später niemand um eine Neujustierung seines inneren Kompasses herum. Und dabei wollen und müssen wir helfend zur Seite stehen.

Welche Rolle spielt der christliche Glaube in der Kaserne?

Der gelebte christliche Glaube kann ein Deutungshorizont sein. Er beantwortet die Fragen nach dem Woher und Wohin. Er gibt dem Leben Sinn. Das ist für die, die es leben, mehr als ein Etikett, sondern wirkliche Lebenshilfe.

Sind Menschen in extremen, ja in krisenbehafteten Situationen offener für spirituelle Erfahrungen?

Wir erleben gegenüber uns Seelsorgern jedenfalls eine große Off enheit für den Glauben und die Fragen, die sich daran anschließen.

Die da wären?

Verarbeitung von Angst. Die Frage nach Liebe und Zuneigung … Dieser Kern tritt aber nicht nach außen … Nein, der gehört auch nicht in die Öffentlichkeit. Aber wenn diese Männer ihre bis zu 50 kg schwere Ausrüstung ablegen, dann entdecken Sie hinter diesem klassischen männlichen Kriegerideal ganz sensible und feine Charaktere.

In den normalen Sonntagsgottesdiensten sitzen in der Mehrzahl Frauen. In denen von ihnen zelebrierten Messen sitzen mehrheitlich Männer. Feiern, glauben und singen Männer anders?

(lacht) Glaube ist zum einen das Geschenk Gottes an uns und zum anderen eine Entscheidung, die jeder für sich persönlich treff en kann. Da Gott uns als Mann und Frau geschaffen hat, gibt es auch deshalb natürlich unterschiedliche Erscheinungsformen des Glaubens. Meine Beobachtung ist die: In den letzten Jahrzehnten wurden in der katholischen und der evangelischen Kirche mehr die „weicheren“ Faktoren betont. Kante zeigen und leben war nicht so sehr gefragt. In diesem Sinne ist uns die männliche Seite des Glaubens etwas verlorengegangen. Hier sollten wir uns weiterentwickeln.

In welche Richtung sollte sich Kirche entwickeln?

Militärseelsorge ist von ihrem Ursprung eher eine Männerbastion. Männer wollen sehen und erleben, was der Glaube praktisch bedeutet.

Sind Ihrer Erfahrung nach Männer verschlossener gegenüber dem Evangelium als Frauen?

Nein! Ich erlebe sie genaus offen wie Frauen, nur eben abwartender und mit dem Hang zur Praxis. Männer wollen keinen Stuhlkreis, sondern suchen und brauchen die handfeste Erfahrung.

Ein Erlebnis, welches Sie in den letzten Wochen ermutigt hat, war …

… ein Friedensgottesdienst mit Soldaten in Berlin. Bei der Zusammenkunft nach dem Gottesdienst ergaben sich ehr-liche und nachdenkliche Gespräche. Ich erlebte sehr viele aufmerksame und für Gott aufgeschlossene Männer.

Herzlichen Dank für das Gespräch! 

MOVO-Chefredakteur Rüdiger Jope diente unter dem Motto „Suppe, Seife, Seelenheil“ in der Heilsarmee. Die von General William Booth gegründete Kirche feiert in diesem Jahr ihren 150. Geburtstag.

„Das ist ungerecht!“

Menschen fühlen sich benachteiligt. Sie wünschen sich von Politikern die Verbesserung ihrer Lage. Doch wirkliche Gerechtigkeit ist kompliziert.

Ein großes Wort, das erstaunlich oft gebraucht wird. In vielen Parteiprogrammen findet es sich. Und in vielen Zuschriften an Politiker ebenfalls. Dort allerdings meistens als Forderung: „Schaffen Sie – mir! – endlich Gerechtigkeit!“ Am häufigsten kommt es in der Negativform: „Das ist ungerecht!“

Streitpunkt: Rente

Jeder Politiker (und jeder andere Verantwortungsträger in Firmen, Vereinen oder Kirchgemeinden) bekommt es zu hören. Wer Entscheidungen treffen muss, kann ein Lied davon singen. In der vergangenen Legislaturperiode arbeitete der Abgeordnete, für den ich tätig bin, im Ausschuss für „Arbeit und Soziales.“ In unser Tätigkeitsfeld gehörte das Thema „Rente“. Bis heute erhalten wir viele Briefe und E-Mails. Die meisten davon haben den gleichen Tenor: „Das ist ungerecht!“ Anfang 2014 wurde die „Rente mit 63“ beschlossen. Sie zielt darauf, Menschen, die 43 Jahre gearbeitet und Beiträge gezahlt haben, gerechter zu behandeln. Prompt schreibt eine Frau: „Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich bin Jahrgang 1949 und bin mit 60 Jahren in die Altersrente gegangen. Deswegen werden achtzehn Prozent Abschlag fällig. Ich war nie arbeitslos. Finden Sie diese Lösung angesichts des neuen Gesetzes ‚Rente mit 63‘ gerecht? Ich bin der Meinung, dass mir die Altersrente nur um zwei Jahre, also um 7,2% gekürzt werden dürfte.“

Zeitgleich wurde die sogenannte Mütterrente eingeführt. Frauen, die vor 1992 Kinder bekommen haben, werden längere Erziehungszeiten anerkannt. Ist das gerecht? Ein junger Mann meint dazu: „Hallo Herr Abgeordneter, Ihre Partei und Ihr Koalitionspartner bemühen sehr oft das Wort Gerechtigkeit. Halten Sie es für gerecht, das ein großer Teil der Arbeitnehmer um seine verdiente Rentenbeitragssenkung betrogen wurde, um das Wahlgeschenk „Mütterrente“ zu finanzieren? Halten Sie es für gerecht, das die jetzt unter 50-Jährigen in absehbarer Zeit mit stetig sinkenden Rentenzahlungen, aber sich stetig erhöhenden Rentenbeiträgen rechnen müssen?“

Gefühlt benachteiligt

Ich könnte eine ganze Reihe von Briefen anfügen. Fast immer, wenn sich jemand zu Wort meldet, beklagt er (oder sie) jeweils die eigene Rentensituation. Warum sind die Ost- und die Westrenten noch nicht angeglichen? Warum erhalten SED-Funktionäre mehr als Stasi-Opfer? Warum zahlen Beamte keine Rentenbeiträge? Und so weiter und so fort. Natürlich will und soll ich hier nicht über die Rente diskutieren. Auch nicht über Parteien und ihre Programme. Schon gar nicht soll es mir darum gehen, Entscheidungen der einen oder anderen Regierungskoalition zu bewerten. Es geht mir um Gerechtigkeit. Oder besser gesagt: Um die merkwürdige Eigenschaft von Menschen, sich selber nur allzu schnell ungerecht behandelt zu fühlen.

Deshalb ein zweites Beispiel: Vor Kurzem hielt ich im Stadtrat meiner Heimatstadt Gera eine Rede zur Sanierung eines bestimmten Gymnasiums. Das Schulhaus ist baufällig, die Aula ist gesperrt, Fenster lösen sich aus Verankerungen, beim Brandschutz müssen anderthalb Augen zugedrückt werden, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Unsere Stadt habe zwar eigentlich keine finanziellen Spielräume, aber für dieses Dilemma müsse einfach Geld in die Hand genommen werden, forderte ich. Wie haben die werten Kollegen der anderen Parteien reagiert? Na klar: Das sei ungerecht. Auch Gymnasium X und Regelschule Y bräuchten dringend Geld …

Das erinnert ein wenig an die berühmte Geschichte von den beiden Hemden, die Paul Watzlawik in seinem Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ beschreibt: Eine Mutter schenkt ihrem Sohn zwei Hemden. Ein rotes und ein grünes. Er zieht das grüne an, worauf die Mutter sagt: „Ach, und das rote gefällt dir nicht?“ Der arme Bengel hatte keine Chance, es richtig zu machen. Wenn man unter Gerechtigkeit versteht, es allen recht machen zu wollen, ist sie eine Illusion. Gerechtigkeit ist ein Verhältnisbegriff, man kann sich ihr immer nur annähern. Die Lebenslagen von Menschen sind viel zu komplex, als dass man sie vergleichen kann. Bestenfalls lassen sich grobe Ungerechtigkeiten beseitigen. Und darin sind wir in Deutschland mit dem Sozialstaatsprinzip ganz gut – ein kurzer Blick über den Globus reicht, um das festzustellen. Der gleiche Blick zeigt übrigens auch, wie viel es für andere noch zu tun gibt.

Sich für Gerechtigkeit reinknien

In einer alten Legende wird erzählt: Zwei Mönche liegen miteinander im Streit. Sie können sich einfach nicht einigen, denn jeder von beiden fühlt sich im Recht. Schließlich tragen sie dem Abt ihre Sache vor und bitten ihn, den Streit zu schlichten und für Gerechtigkeit zu sorgen. Der Abt möchte eine Nacht Bedenkzeit. Am nächsten Morgen gibt er den beiden Mönchen seine Antwort: „Ihr wollt Gerechtigkeit? Gerechtigkeit gibt es nur in der Hölle, im Himmel regiert die Barmherzigkeit – und auf Erden gibt es das Kreuz!“ Das eigene „Kreuz“ tragen und zugleich für eine gerechtere Welt arbeiten. Das scheint mir im Sinne der Bergpredigt ein guter Ansatz zu sein. Jesus spricht nicht diejenigen selig, die sich ungerecht behandelt fühlen, sondern „die da hungern und dürsten nach Gerechtigkeit.“

Uwe Heimowski (50) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich, Stadtrat, Vater von fünf Kindern, Ehemann und Gemeindereferent in der Evangelisch freikirchlichen Gemeinde Gera.

Immer nach oben

Für 72 Stunden verlässt Tom Mayer sein Büro. Er kämpft sich mit anderen Männern durch die die nächtliche Kälte und auf die Berge. Dabei begegnet er sich und Gott.

Smartphone, Uhr und Geld sind in eine wasserdichte Tüte gepackt und für die nächsten drei Tage versiegelt. Wir sind soeben aus dem Postbus gestiegen. Es ist dunkel geworden über den Bergen des Schweizer Kantons Tessin. Ein kalter, herbstlicher Wind bläst uns entgegen. Der Alltag ist weit weg, geografisch wie in Gedanken. Drei Tage „Charakterwochenende“ stehen vor mir, gemeinsam mit 90 anderen Männern aus der Schweiz und Deutschland.

Nun stehe ich in meiner kleinen Gruppe von zehn Männern also irgendwo über Lugano und warte auf den Abmarsch. Null Ahnung über Zeitplan, Wegstrecke,Programmpunkte. Der ausgeliehene Trekkingrucksack ist nach vorgegebener Liste gepackt. Diverse Kleider, ein warmer Schlafsack, Kocher, Zelt. Die Verantwortlichen verteilen das Essen. Der Inhalt des Supermarkt-Papiersackes soll drei Tage für zehn Männer langen? Bin mir nicht so sicher … Wir verteilen die Müsli-Packungen, Landjägerwürste und das Outdoor-Trockenfood. Kaum sind die Getränkevorräte aufgefüllt, wandern wir los in die Nacht. Stundenlang. Irgendwohin. Immer nach oben. Dabei geht das Zeitgefühl verloren. Irritierend, aber gut!

Drei Tage kämpfen wir uns nach Norden. Wir übernachten unter freiem Himmel. Das Frischwasser kommt direkt aus einer Quelle. Die Fleckchen Erde, die wir auf der Tour entdecken, sind atemberaubend. Wir schlafen wenig, die Nacht gehört zum Programm.

Mitten in der Nacht raus aus den Zelten

Am Ende des zweiten Tages sinke ich erschöpft in den Schlafsack. Es war ein schöner Tag, aber ich bin kaputt. Wenige Momente später bin ich eingeschlafen. Stinksauer reagiere ich, als wir – ich habe vielleicht eine Stunde geschlafen? – mitten in der Nacht alle aus den Zelten geholt werden. Im Zusammenhang mit einer Nacht-Kletterei gibt‘s eine Aufgabe zu erledigen: Über Steine kraxeln wir einer Bergspitze entgegen. Eiskalter Wind. Fackeln zeigen den Weg. Die Männer, die sie halten, zitieren Bibelverse. Oben stehen wir eng zusammen und feiern einen unvergesslichen Männer-Gottesdienst. Gott sei Dank hab ich mich aufgerafft. Gott hat den Gruppendruck gebraucht. Er begegnet mir außerhalb der Komfortzone oben am Gipfelkreuz.

Die körperliche und mentale Überwindung bringt mich Bürositzer zum Wesentlichen. Da kommen Sachen hoch, die sonst vergraben bleiben. Warum falle ich immer wieder in alte Muster zurück? Warum stehe ich nicht meinen Mann in Job und Familie? Warum schiebe ich in der Familie das Unangenehme auf oder unter den Teppich? Warum bleibe ich an der nackten Haut auf dem Bildschirm hängen? In den drei Tagen erlebe ich heilige und heilende Momente zwischen mir und Gott.

Während der 72 Stunden gibt es jeweils nach ein paar Stunden des Wanderns einen „Speakers Point“. Einer vom Team fordert uns zu einem bestimmten Thema heraus. Kurz, auf den Punkt, ohne Füllmaterial. Zum Beispiel beim Thema Familie. Ben hat seine Familienfotos immer bei sich, er zeigt uns seine laminierte Prints. Wie wertvoll! Ich werde es ihm nachmachen. Bei anderen „Speakers Points“ müssen wir eine Aufgabe erledigen. Etwas machen, was enorme Überwindung benötigt. Ich habe an diesem Spätnachmittag Veränderung erlebt. Nicht nur zuhörend oder in einem Workshop, sondern eben draußen. Direkt, pur, unmittelbar. Auch der Abschluss der drei Tage – das Fest am Abend und der Gottesdienst am Sonntagmorgen – hat es in sich. Er geht durch Mark und Bein, Herz und Magen.

Ein Meilenstein im Unterwegssein mit Gott

Jetzt hat mich der Büroalltag wieder. Ein Stück abgebrannte Fackel liegt auf meinem Bürotisch. Sie erinnert mich an einen großen Meilenstein in meinem Unterwegssein mit Gott. Sie erinnert mich, wenn nackte Haut auf meinem Mac im Büro auftaucht, dass ich im Dienst für den König stehe, den inneren bösen Wolf verhungern lassen und den guten Wolf füttern will. Das gelingt mir als 4ter Musketier mal besser und mal schlechter.

Tom Mayer (44) lebt in CH-Belp. Er ist verheirate mit Barbara und Vater von Julia und Lea. Er ist selbständiger Medienmacher (www.citrusmedia.ch), fährt gerne Rennrad, macht Langlauf und liebt das Meer.

Sexverbesserer

Männer sehnen sich nach beglückendem Sex. Der fällt allerdings nicht vom Himmel.

Dieses Jahr feiern wir unseren 13. Hochzeitstag, dazu den neunten, siebten, fünften und zweiten Geburtstag unserer Söhne. Ja, wir haben immer noch Sex! Mal mehr, mal weniger, mal besseren, mal schlechteren. Im Schnitt sicher einmal pro Woche. Ich habe mich dafür entschieden, offen zu sein. Es ist wichtig, dass wir über Sex reden. Denn genau da beginnen die Probleme. Bei der fehlenden oder falschen Kommunikation. Nein, ich denke nicht an die Gespräche mit den Kumpels in der Kneipe beim Bier. Was ich meine: Kannst du mit deiner Frau über euren Sex reden? Hast du ihr gesagt, was dich antörnt? Wie oft du mit ihr schlafen willst, und welche sexuellen Dinge du mit ihr erleben möchtest? Und umgekehrt: Kennst du ihre Vorlieben und No-Gos?

Wenn es darum geht, meiner Frau zu sagen, was ich mir wünsche, spüre ich oft eine Hemmschwelle. Warum ist das so? Weil ich dann das Risiko eingehe, abgelehnt zu werden. Kein Mann wird gerne abgelehnt. Allerdings: Wer Sex als Tabuthema behandelt,bespricht einen entscheidenden Teil der Ehe nicht. Andere Dinge, wie das Familienbudget oder die Ferienplanung, diskutieren wir – dann sollten wir auch den Sex nicht dem Zufall überlassen. Das Resultat der Haltung „über Sex spricht man nicht“ ist meistens Entfremdung, schlechter Sex und Unzufriedenheit gespickt mit Vorwürfen. Wer bei gegenseitiger Schuldzuweisung angelangt ist, hat den Teamgeist begraben. Game over. Wer guten Sex will, muss also eine Sex-Kultur entwickeln. Aber wie?

Lust ist gottgegeben

Sex ist wichtig für eine glückliche Ehe. Viele ziehen diese wunderbare Erfindung Gottes in den Schmutz. Aber das macht Sex noch lange nicht zu etwas Dreckigem. Wenn ein Mann seine Lust auf Sex als etwas Negatives sieht, lacht sich der Teufel ins Fäustchen. Denn Gott hat unsere Sexualität als etwas Reines, sogar als etwas Heiliges geschaffen. Der Dreck kommt nicht mit der Lust, sondern mit dem falschen Umgang damit. Gott ist für Sex! Hätte Gott etwas gegen Sex, hätte er uns als geschlechtslose Teletubbies erschaffen. Sexuelle Lust ist gottgegeben. Lebe sie mit deiner Frau aus!

Sex braucht Lockerheit

Druck erzeugt Gegendruck und ist oft ein Zeichen von Hilflosigkeit. Wer nicht weiß, wie er seine Frau gewinnen kann, wird auf zweifelhafte Methoden zurückgreifen und seine Frau dabei verlieren. Mein Ziel ist, meiner Frau meine Wünsche offen kommunizieren zu können. Ohne ihr dabei das Gefühl zu geben, dass sie mir das alles gleich heute geben muss. Ich sehe die Ehe als ein Abenteuer: Wir haben Jahre Zeit, uns zu verbessern und Dinge auszuprobieren. Nimm es locker, wenn’s im Bett mal nicht so „flutscht“, denn du bist noch eine Weile verheiratet!

In die eigene Wiese investieren

Da schießt einem dieser Gedanke durch den Kopf: „Mit einer anderen Frau hätte ich mehr und besseren Sex.“ Wer diese teuflische Hintertür öffnet, stiehlt sich aus der Verantwortung. Er reduziert die gemeinsame Sexualität auf das Verhalten einer Person („Sie ist schuld!“). Dieser Mann ist zu faul, sich selbst zu hinterfragen und etwas zu ändern. Die Wiese auf der anderen Seite des Zauns ist nicht grüner! Meine Wiese hat so viel Qualität, wie ich Zeit und Energie in sie investiere. Je mehr ich mich auf meine Frau fokussiere, desto weniger reizen mich andere Frauen. Ich kriege den Fokus auf meine Frau nur scharf, wenn ich aufhöre fremdzugehen! Keine weiteren „mit der wär’s perfekt“-Gedanken. Keine weitere Lustbefriedigung durch andere Frauen (z.B. Porno oder Fremd-schauen). Und keine Gefühle für andere Frauen pflegen – egal, wie viel Bewunderung sie schenkt!

Team im Alltag, Team im Bett

Ich erwische mich ab und zu dabei, wie ich mir Sex verdienen möchte. Und dann bin ich enttäuscht, wenn’s nicht funktioniert. Sex taugt nur selten als Belohnungs-System. Vielmehr ist Sex eine logische Konsequenz einer funktionierenden Teamarbeit. Die Herausforderung ist, dass wir Männer nicht den ganzen Tag anwesend sind. Aber wir können trotzdem da sein. Ich kann meiner Frau tagsüber eine SMS schreiben, kurz anrufen, nachfragen. Zeigen, dass ich an sie denke und mich für sie interessiere. Sie wird merken, dass sie mehr als ein Körper ist, der am Feierabend die Lust des Ehemannes befriedigen muss. Ich bin überzeugt: Wer tagsüber mit seiner Frau kommuniziert, wird eher eine Verbindung mit ihr haben und muss diese nicht mühsam nach dem Arbeitstag herstellen. Team im Alltag, Team im Bett.

Den Motor am Laufen halten

Frustriert bemerkt sie: „Du berührst mich nur, wenn du mit mir ins Bett willst!“ Das blöde an dieser Aussage ist, dass sie oft wahr ist. Ein Freund erklärte mir, dass sich tägliches Küssen (mindestens sechs Sekunden am Stück), positiv auf die Beziehung auswirkt. Die körperliche Verbindung muss aufrechterhalten bleiben. Es muss nicht immer eine lange Rücken- oder Fuß-Massage sein: Zärtliche Berührungen zwischendurch halten den Motor am Laufen.

Sex planen und entwickeln

Damit unsere Beziehung sich gesund entwickelt, brauchen wir ein Ziel. Wohin wollen wir uns entwickeln? Wie soll unser Sex in zehn Jahren sein? Und welche Schritte müssen wir dafür gehen? Sex ist ein Lebens-Projekt, das man aktiv gestalten muss! Denn die Sexualität entwickelt sich immer in die eine oder andere Richtung: Wer investiert, wird profitieren. Wer es dem Zufall überlässt, wird unter Umständen in einem fremden Bett zu sich kommen. Setze dich mit deiner Frau zusammen. Plant zusammen Auszeiten, kinderfreie Stunden und schafft Raum, damit sich eure Sexualität entwickeln kann.

Reto Kaltbrunner ist Pastor des ICF St. Gallen und Gründer des ICF Mens World. Sein Herz schlägt höher, wenn Menschen eine Begegnung mit Gott haben und Männer in ihre göttliche Identität hineinfinden.

„Ein Neger geht mit seinem Affen…“

Mehrheitlich Männer protestierten montags in der Stadt Dresden gegen eine vermeintliche Islamisierung des christlichen Abendlandes. Im Stadtrat und in der Sauna tritt Uwe Heimowski mutig der einfachen Schwarz- Weiß-Weltsicht entgegen.

Gänsehaut. Anders kann ich es nicht beschreiben. Bis heute bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich die Fernsehbilder von 1989 sehe. Die friedlichen Montagsdemonstranten auf den Straßen von Leipzig, Berlin oder Dresden, die mutig „Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!“ skandieren. Sie machen klar: Wir lassen uns nicht länger überwachen, wir nehmen Medienpropa­ganda, Wahlfälschungen, Mauertote und eine ideologisch bornierte Politikerkaste nicht länger hin. Die Bürger der DDR forderten ihre demokratische Rechte ein.

Ein charismatischer Agitator mobilisiert die Massen

25 Jahre später. Ein anderer, ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Ich sehe Bildern aus Dresden. Zehntausende sind dem Aufruf der „Pegida“ gefolgt und machen ihrem Unmut gegen eine (vermeintliche) Islamisierung des christlichen Abendlandes Luft. Auch sie demonstrieren friedlich, auch sie rufen: „Wir sind das Volk!“. Nein, ich will nicht in eine pauschale Schelte abgleiten. Da sind nicht nur NPD-Kader und Anhänger der „Neuen Rechten“ auf den Straßen. Menschen haben Sorgen, und diese Sorgen müssen ernst genommen werden. Die Politik darf sich einer Debatte über geregelte Zuwanderung nicht verschließen. Und doch läuft es mir kalt über den Rücken. Ich frage mich: Wem folgen die Menschen? Der zurückgetretene Initiator der Pegida-Demos ist Lutz Bachmann: vorbestraft; einschlägig bekannt in der braunen Szene. Ein charismatischer Agitator, dem es gelingt, Massen zu mobilisieren. Darunter Christen, Mütter und Väter, unbescholtene Bürger. Was geschieht da gerade? Ist es „dem Volk“ egal, wer es auf die Straßen führt?

Neulich in Gera: Die Stadt ist quasi pleite. Ein Haushaltssicherungskonzept musste beschlossen werden. Die Einschnitte sind sehr schmerzhaft. Auch an den KiTa-Gebühren muss die Stadt sparen. Eine Erhöhung der Gebühren um 20 bis 40 Euro auf den Thüringer Durchschnitt steht im Raum. Der Stadtelternbeirat macht dagegen mobil. Die Partei Die Linke beantragt eine aktuelle Stunde im Stadtrat. Weit über tausend Menschen, Eltern und Kinder, demonstrieren mit einem Laternenumzug auf dem Marktplatz. Das ist ihr gutes Recht. Und für die Kinder obendrein ein willkommenes zweites St. Martinsfest. Doch dann: Der Rathausaal platzt aus allen Nähten. Die Debatte ist emotional. Buhrufe für die Stadtverwaltung. Ein NPD-Stadtrat wettert gegen eine Erhöhung der Gebühren. Donnernder Applaus von den Rängen. Ich bin irritiert. Ist es egal, wer hier spricht, solange er sagt, wonach den Leuten „die Ohren jucken“? Ist das „das Volk“?

Noch ein Beispiel: Ein Abend in der Sauna. Wir warten auf den Aufguss, jemand erzählt einen Witz und erntet Gelächter. Gleich setzt er noch einen drauf: „Ein Neger geht mit seinem Affen zur Kaufhalle (Supermarkt). Weil er das Tier nicht mit hineinnehmen darf, bittet er eine junge Frau, einen Moment aufzupassen. Sie wartet vor der Tür, als ein Bekannter vorbeikommt. Er fragt verwundert: ‚Wo hast du denn den Affen her?‘ – ‚Der ist von dem Neger da.‘ Der Bekannte schüttelt den Kopf. ‚Hättest du dir den nicht wegmachen lassen können?‘“

Dem Schweigen folgt ein mutiges Wort

Brüllendes Lachen. Ich bin schockiert, aber schweige. Ist das „das Volk“? Aufguss, Pause zum Einreiben mit Salz, zurück in die Sauna. Ein Moment Stille, ich melde mich zu Wort: „Entschuldigung, aber ich möchte noch etwas zu dem Witz von vorhin sagen. Der war rassistisch und menschenverachtend. Ich möchte mich hier entspannen, bitte lassen Sie das.“ Ein Ruck geht durch die Leute. Ein paar beginnen mich zu rüffeln, einer sagt laut: „Bitte lasst ihm seine Meinung“. Jemand flüstert von hinten: „Danke!“ Auch der Bademeister springt mir bei, erklärt, dass Rassismus an diesem Ort keinen Platz habe. Die Atmosphäre verändert sich. Es hat jemanden gebraucht, der den Mund aufmacht, der Zivilcourage zeigt. Ich tue das zu selten, immerhin diesmal. Und Teile der Menschen sind mir gefolgt. Zwar sah es für einen Moment so aus, als sei „das Volk“ komplett auf Seiten des Witzeerzählers. Aber das war nicht so. Die lautstarke Masse muss nicht unbedingt die tatsächliche Mehrheit sein.

1989 war wirklich das Volk auf der Straße. In Dresden ist es „nur“ eine Gruppe. Gewiss: Eine große und laute Gruppe, aber es ist eben nicht die Mehrheit der Bürger. Sie reklamieren den Slogan der Montagsdemonstranten „Wir sind das Volk!“ für sich. Zu Unrecht. Pegida ist nicht das Volk. Und schon gar nicht das Volk, das auf Leipzigs Straßen für Freiheit demonstrierte: In Dresden nämlich geht es um die Einschränkung von Freiheit.

Schnelle und einfache Antworten waren gestern

Eine Frage aber bleibt, eine grundsätzliche Anfrage an die Politik: Warum gehen immer weniger Bürger zur Wahl, dafür aber immer mehr auf die Straßen? Wie kommt es zu dieser neuen APO (Außerparlamentarischen Opposition)? Sei es in Dresden gegen die Islamisierung des Abendlandes, sei es in Stuttgart gegen den Neubau des Bahnhofs, sei es in Gera gegen eine Erhöhung der KiTa-Gebühren. Was geschieht da gerade? Schnelle Antworten habe ich nicht. Aber einen Anspruch: Keine Gruppe darf sich über andere hinweg „das Volk“ nennen. Und: Zwischen „denen da unten“ und „denen da oben“ darf es keine Spaltung geben. Wir sind nicht nur das Volk, sondern eben auch ein Volk.

Uwe Heimowski (50) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich, Stadtrat, Vater von fünf Kindern, Ehemann und Gemeindereferent in der Evangelisch Freikirchlichen Gemeinde Gera. 

Feierabendfalle

Auf der Arbeit ging nichts mehr. Er beschloss, früher Feierabend zu machen und seine Familie einmal zu überraschen. Er freute sich auf eine gemütliche Tasse Kaffee mit seiner Frau. Doch dieses Mal stürmte ihm keine jubelnden Kinder entgegen. Er erntete irritierte Blicke. Die Tochter schob ein übergroßes Cello im Flur an ihm vorbei. Der Junge sprang im Fußballtrikot hinter ihr her und seine Frau hauchte ihm – den Autoschlüssel in der Hand – einen Kuss auf die Wange: „Ach, hallo, was machst du denn schon hier?“, und dann war alles ruhig. Er stand allein im Flur – „Was mache ich nur hier?“

Fremd im eigenen Heim

Als Mann fühlt man sich da manchmal wie ein Fremder. Ich habe erlebt, dass es öfter die Frauen sind, die den Familienalltag organisieren und dafür Sorge tragen, dass alles läuft. Die für uns die sozialen Kontakte pflegen, uns an Geburtstage erinnern, die Freunde am Wochenende zum Grillen einladen. Wir gehen morgens aus dem Haus, kommen abends spät nach Hause und erleben unsere Kinder oft nur noch kurz vor dem Schlafengehen. So ist es kein Wunder, dass den Frauen immer noch mehr Erziehungskompetenz zugesprochen wird als uns Vätern – und hier ist wirklich gemeint: den Frauen generell und den Vätern noch nicht einmal. Zugegeben, es ist oftmals auch schön, den Rücken freigehalten zu bekommen, denn auch das kennt jeder von uns: Du kommst von der Arbeit; die Probleme, Anstrengungen des Tages sind nicht spurlos an dir vorübergegangen. Erledigt bist du in den eigenen vier Wänden und schaffst es nicht rechtzeitig, umzuswitchen und das „Programm Familie“ abzuspulen. Sobald du die Tür öffnest, stürzen die Kinder voll Freude in deine Arme. Sie wollen von ihrem Tag erzählen. Deine Frau möchte mit ihren Fragen nach deiner Arbeit teil an dir haben und von sich erzählen. Aber dir passt das manchmal gar nicht, du fühlst dich dann überfordert und wünschst dir einen kleinen Augenblick der Ruhe.

Den Heimkommwahnsinn benennen

Wir Männer erleben hier einen großen Zwiespalt: Einerseits sind wir immer noch die Hauptverdiener und beruflich stark eingebunden, andererseits möchten wir auch gerne intensive Beziehungen zu unserer Partnerin und unseren Kindern haben. Ich denke, wir wissen schon, dass eine Zweiteilung in Woche (Arbeit) und Wochenende (Familie) eine Teilung ist und keine Lösung. Die Patentlösung wartet noch auf die Entdeckung. Was mir hilft, ist, diesen Wahnsinn des Heimkommmens erst einmal als solchen wahrzunehmen und mit der Familie zu besprechen. Ich mache mir erst einmal in Ruhe etwas zu essen, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme. Ich nehme mir die Zeit anzukommen, dann erst bin ich mit ganzem Herzen für meine Familie da. Das Spannungsfeld, in dem wir Männer stehen, lässt sich sicherlich nicht per Knopfdruck auflösen. Es gibt nicht „die Lösung von der Stange“. Aber vielleicht lassen wir uns vom Prediger Salomo erinnern, dass es für alles eine Zeit gibt. Es gibt eine Zeit für dich und deine Frau, eine Zeit, die du mal mit deinen Kindern (alleine) verbringst und eine Zeit für dich, egal, ob du sie für deine Hobbys oder deine Freunde nutzt, oder ob du sie dir nimmst, um deine Spiritualität und deinen Glauben zu leben.

Jörg Wetjen (47) ist verheiratet und Vater einer Tochter. Er hat als Theologe diplomiert zum Thema »Männerrollen in den Erzelternerzählungen«. Er ist in Dortmund selbständiger Bildungsanbieter. In seiner Freizeit engagiert er sich für die Männerarbeit im Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen. 

 

Wolfgang Wittig: Drohnenfieber

Viele Männer träumen vom Fliegen. Ein faszinierendes Spielzeug verleiht diesem Traum Flügel.

Als ich auf der weiterführenden Schule war, kam ich auf dem Weg nach Hause oft an einem Modellbauladen vorbei. Fasziniert stand ich dort vor den verschiedenen ferngesteuerten Hubschraubern und träumte davon, irgendwann mal so ein Gerät fliegen zu dürfen. Diesem Wunsch entgegen standen zwei Dinge: Erstens der Preis und zweitens die Aussage des Mannes im Laden, dass das Fliegen eines Modellhubschraubers nur etwas für geübte Piloten sei und ein Absturz schnell teure Reparaturen oder den Totalschaden nach sich ziehen würde.
Zwar schaffte ich es im Alter von vierzehn Jahren durch die geschickte Kombination von Geldgeschenken zu Weihnachten, Konfirmation und Geburtstag einen erstaunlichen Betrag zusammenzusparen, statt eines Flugobjektes investierte ich das Geld jedoch sinnvoll, wie viele meiner Klassenkameraden, in einen Atari 1040 STFM – und gab mich dem Traum vom Fliegen in nächster Zeit nur noch in der sicheren Abgeschiedenheit meines Kinderzimmers mit dem Microsoft Flight Simulator hin.

DIE DROHNE IN MEINEM HAUS

Seit dem hat sich in der Welt der unbemannten Flugobjekte viel getan. Drohnen sind in aller Munde und plötzlich einigermaßen erschwinglich geworden. Einstiegsmodelle gibt es schon ab EUR 70,00 und sie sind ohne große Übung zu fliegen. Dass liegt daran, dass die meisten Drohnen in der Lage sind, ihren Flug selbstständig zu stabilisieren. Gibt man ihnen also keinen weiteren Steuerimpuls, während sie sich in der Luft befinden, bleiben sie stehen, verweilen dort, wo sie gerade sind. Teurere Modelle verfügen über ein GPS-Modul, das ihnen ermöglicht, vordefinierte Punkte abzufliegen oder zum Ausgangspunkt zurückzukehren.
In meinem Umfeld gibt es einige Männer, die eine Drohne ihr Eigen nennen. Daher dachte ich, dass es gut wäre, sie zu interviewen, ein wenig zu recherchieren und dann einen Artikel zu schreiben. Je mehr ich mich mit dem Thema auseinander setzte, desto klarer wurde mir, dass das so nicht funktionieren würde. Mit jedem Artikel, den ich las, wuchs die Unruhe in meinem Herzen und es gab nur einen Weg, sie zu stillen: Ich brauchte eine Drohne. Ich war kurzzeitig darüber erstaunt, wie sehr mir etwas fehlte, von dem ich kurz zuvor noch nicht wusste, dass es existiert.

Den vollständigen Artikel lesen Sie in der MOVO 1/2015. Jetzt bestellen.

XXX – Eine Porno-Biografie

In ihrem Buchprojekt „Porno“ porträtiert Christina Rammler Männer und Frauen, die ihr von ihrem heimlichen Bilderkonsum erzählen – unzensiert und hintergründig. Ihr ehrgeiziges Ziel: „Stimmen Gehör zu verschaffen, die davon erzählen, wie sie mit ihrer Lust umgehen“.

Peter ist 32. Er kommt vom Land, aus einem Dorf, in dem „jeder alles von jedem weiß.“ Er schaut fast täglich Pornos, mindestens fünf Mal pro Woche. Im Schnitt zehn bis zwanzig Minuten. In dem Dorf, in dem jeder alles von jedem weiß, weiß davon allerdings niemand. Zu verdanken hat er diese Anonymität dem Internet. Peter gibt zu, dass das Internet in dieser Hinsicht „sein Leben revolutioniert“ hat.
Peter ist katholisch aufgewachsen, moralische Überzeugungen spielten für ihn schon immer eine große Rolle. Moral war stets klar definiert als „Dinge, die man tut“ und „Dinge, die man nicht tut.“ Als richtig und falsch. Pornos schauen gehörte zu den Dingen, die man nicht tut. Pornos schauen war falsch. Ebenso unterteilte Moral die Welt auch in „Dinge, über die man spricht“ und „Dinge, über die man nicht spricht.“ Lust gehörte zu den Dingen, über die man nicht spricht. Oder genauer gesagt: Über die man gar nicht sprechen musste, weil man sie nicht haben durfte. Und wenn man sie doch hatte, dann nur um den Preis eines ausgeprägt schlechten Gewissens. Peter zahlte den Preis: Er hatte ein schlechtes Gewissen. Und zwar ständig.

Denn er hatte Lust. Und zwar immer. Sie war einfach da und er wusste nicht, wohin mit ihr. Er schämte sich für seine körperlichen Bedürfnisse, fühlte sich schlecht, wenn er masturbierte, um den Druck loszuwerden. „Am Anfang [hatte ich] schon eher ein Moralproblem damit. Das Thema Lust und Zärtlichkeit hat es einfach nicht gegeben. Wenn ich früher Lust gespürt habe, war es ein Problem für mich, mir einen runterzuholen, weil das gehört sich ja nicht, es war ja nie da.“ Im realen Leben war Lust nicht vorhanden, war nicht sichtbar, durfte nicht sein. In der Welt, in der Peter aufwuchs, hatte Sexualität keinen Platz, wurde ausgeklammert und negiert. Diese Welt war gegen alles Körperliche, war körper- und sexualitätsfeindlich. Sex war „immer so ein bisschen versteckt.“

Versteckt waren auch die Playboyhefte seines Vaters. Auch die sollten geheim gehalten werden, auch sie waren ein Tabu. Ein Tabu, das Peter eines Tages brach, als er sie im Keller seiner Eltern entdeckte. Für den kleinen Jungen war das nicht ganz einfach, schienen die nackten Frauen in den Hochglanzmagazinen irgendwie eine Grenze zu überschreiten – sie gehörten zu den Dingen, die man einfach nicht tut. Sie passten nicht hinein in die Ehe seiner Eltern. Sie verstießen gegen ein ungeschriebenes Gesetz: Das Gesetz von Respekt und Achtung gegenüber einer Frau, die Peters Mutter war.
„Ich weiß, dass mein Vater meine Mutter liebt, das spür’ ich halt. Aber für mich war das so, er kauft sich das, er schaut sich das an. […] Und irgendwie fand ich das auch nicht so fair meiner Mama gegenüber, weil irgendwie hat er dafür ja auch die Mama.“ Dafür hat der Papa die Mama.

„Dafür“ heißt: für den Sex und alles, was zur Befriedigung der Lust dazugehört. Dafür sollte der Papa eigentlich doch keine anderen Frauen brauchen. Dafür sollte doch die Mama genügen. Scheinbar war die Mama dem Papa dafür aber nicht genug. Für das Kind Peter damals unverständlich, verwirrend. Mit seiner Enttäuschung über den Vater war er allein. Sein Moralempfinden sagte ihm, dass es Dinge gibt, die man nicht tut. Dass es richtig und falsch gibt. Mama und Papa – das war richtig. Papa und andere Frauen, wenn auch nur auf Fotos, das war falsch, das hatte in der Sexualität seiner Eltern nichts zu suchen. Doch offensichtlich hatte sein Vater ein anderes Verständnis von richtig und falsch. Scheinbar tickten die Uhren in der Welt der Erwachsenen anders, verfügten Erwachsene über eine ganz eigene Moral, von der Peter bis zu jenem Tag im Keller nichts ahnte. Eine Moral, die definiert war als das, was man tut, worüber man aber auf keinen Fall redet.