Von der Klippe gestoßen

Absturz im Beruf. Turbulenzen in der Familie. Zu müde zum Berge versetzen.

Der 17. Januar 2012. Ich kann mir diesen Tag besser merken als manchen Geburtstag. Es war der Tag, an dem ich als Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens in die Zentrale der ausländischen Muttergesellschaft bestellt wurde. Kein Grund wurde genannt, es sollte sich wohl einfach um ein Jahresauftaktgespräch handeln. In dem gläsernen Büro meines Vorgesetzten wurde mir dann eröffnet, dass ich die Position des Geschäftsführers meiner Firma aufgeben müsse, um Platz zu machen für einen anderen. Ich fiel förmlich von einer Klippe.

ROTATION ALS GESCHÄFTSMODELL
Noch im Büro meines Vorgesetzten sitzend, wollte ich den Grund wissen, was zu der Entscheidung meiner Abberufung geführt habe. Die Aussage, es gäbe keinen spezifischen Grund, es sei nur mal eine „Rotation“ in der Führungsriege notwendig, sollte ausreichen. Man führte mich in einen Konferenzraum, in welchem mein Nachfolger auf mich wartete: Ein Kollege aus einem ausländischen Schwesterunternehmen, der selbst verunsichert war, mir gegenüberzutreten, kannten wir uns doch schon über viele Jahre.

Ich erinnere mich, dass ich auf dem Rückweg am Flughafen kulinarische Dinge kaufte, um damit zu Hause meiner Familie die neue Situation zu eröffnen, die doch „eigentlich“ gar nicht so schlecht sei. Eine besondere Art der Verdrängung, welche ich schon immer gut beherrschte: Bloß nichts hochkommen lassen.

Im März 2012 trat ich dann selbst vor die versammelte Belegschaft, um die Veränderung bekannt zu geben und unterstützte meinen Nachfolger nach bestem Wissen und Gewissen tatkräftig bei seinen Aufgaben. In meiner zurückgestuften Position kümmerte ich mich wieder ausschließlich um den Vertrieb und die geschäftliche Entwicklung des Unternehmens im Außenverhältnis.

Im selben Jahr entwickelte sich gerade ein Sturm in unserer Familie zu einem Orkan. Unser jüngstes von drei Kindern, das wir im Alter von zehn Monaten als Pflegekind aufgenommen hatten, suchte nach seinen Wurzeln und kam damit selbst nicht klar. Wenn wir uns telefonisch bei der Polizeistation im Nachbarort meldeten und um Hilfe baten, brauchten wir unseren Familiennamen nicht zu buchstabieren, man kannte uns bereits. Der Eklat gipfelte in einem Einsatz mit zwei Polizeistreifen, die sich anstrengten, eine unerlaubte und außer Kontrolle geratene Party unserer Jüngsten in unserem Haus zu beenden, während meine Frau und ich zum ersten Mal seit Langem versuchten, in einem 300 km entfernten Wellness-Hotel übers Wochenende etwas Kraft zu tanken.

Zuhause und in der Gemeinde versuchte meine Frau, alle Bälle in der Luft zu halten, um dann erst einen Hörsturz zu erleiden und anschließend in einem Burnout zu landen, welcher ihr einen mehrmonatigen Klinikaufenthalt bescherte.

DER STURM IN MIR
Und in mir? Da tobte ein Sturm, dem ich nicht erlaubte, herauszukommen. Ich suchte schließlich eine professionelle psychologische Beratung auf. Nach vielen Wochen erlaubte ich mir nach einer morgendlichen Sitzung, mich für den Rest des Tages krankzumelden. Bei einem Spaziergang in den Weinbergen ließ ich meinem Frust und meinen Tränen freien Lauf. Ich war zutiefst frustriert. Von Gott erwartete ich keine Antwort mehr. Nicht, dass ich ärgerlich auf ihn gewesen wäre – es war schlimmer: Es war eine geistliche Apathie, fast schon eine Agonie, und meine stetige Frage an Gott war: Wozu?

Anderthalb Jahre nach der ernüchternden Nachricht kündigte ich, um wieder ganz klein anzufangen. Meine neue Aufgabe besteht darin, eine Niederlassung für ein ausländisches Unternehmen im deutschsprachigen Raum aufzubauen. Eine neue Erfahrung, dass man nicht einfach den Mitarbeiter aus der IT-Abteilung anruft und ihn bittet, den neuen Rechner einzurichten. Oder ohne die Unterstützung der Human Ressources- Abteilung Stellenanzeigen zu formulieren und Mitarbeiter einzustellen. Als vor wenigen Wochen dann die Agenda des internationalen Sales-Meetings kam und ich unter keinem der genannten Punkte als Referent genannt war, merkte ich, dass es mir guttat. Ich durfte in die zweite Reihe treten und einfach nur zuhören. Noch wenige Jahre zuvor hätte mich das verletzt, dass man nicht an meinem Wissen und meiner Kompetenz interessiert wäre.

THERAPIE DES ZWEIFELNS
Während ich diese Zeilen schreibe, merke ich, wie es mir guttut und mein Computermonitor therapeutischen Charakter entwickelt. Weitere Fragen tun sich auf: Ist es erlaubt, sich zu freuen, dass meine damalige Firma seit dem Wechsel nur noch rote Zahlen schreibt und im Jahr meines Weggangs einen Verlust von fast 25 % aufweisen musste? Oder widerspricht das der christlichen Nächstenliebe und ich sollte mich schämen, solche Gedanken zu haben? Ich weiß es nicht.

Mein Glaubensleben hat sich verändert. Früher noch über jeden Zweifel erhaben, lasse ich sie zu und erlaube die Konfrontation mit ihnen. Früher sagte ich anderen, dass sie einfach glauben sollten, da Zweifel nicht in der Lage sind, Berge zu versetzen. Heute lasse ich die Frage zu, ob der Berg überhaupt versetzt werden soll. Dabei hat mir sehr geholfen, dass selbst Jesus Zweifel hatte und seinen Vater fragte, ob das mit der Kreuzigung sein müsse oder ob es auch einen anderen Weg gäbe (Lk 22,42). Scheitern und Zweifel gehören zum Leben, um daraus etwas Besseres entstehen zu lassen.

Dirk Hendrik Kneusels lebt in der Nähe von Darmstadt. Er hat drei erwachsene Kinder und ist Mitglied in der Evangelisch freikirchlichen Gemeinde Mühltal. Er leitet die Niederlassung eines italienischen Unternehmens.

Was haben Sie erlebt? Unter welchen „Abstürzen“ haben Sie gelitten? Was sind Ihre Scheiter- und Lernpunkte des Lebens? Erzählen Sie uns Ihre Geschichte: info@MOVO.net

Kultur der Gnade

Ein Bundestagsabgeordneter scheitert. Eine Woge der Häme schwappt durch die Sozialen Netzwerke. Nachdenklich erinnert Uwe Heimowski daran: „Wer von euch im Glashaus sitzt, der werfe den ersten Stein.“

Berlin, 2. März 2016, Eilmeldung auf Spiegel-On-line: „Vorwurf des Drogenbesitzes: Grünen-Politiker Volker Beck legt Ämter nieder. Bei dem Grünen-Abgeordneten Volker Beck sind bei einer Polizeikontrolle offenbar Drogen gefunden worden.“ Die BILD will zu diesem Zeitpunkt bereits wissen, dass es sich um Crystal Meth handelt, die Staatsanwaltschaft spricht zurückhaltender von 0,6 Gramm einer „betäubungsmittelsuspekten Substanz“. Beck legt sofort alle Ämter nieder.

Kaum ist die Nachricht raus, beginnen die Kommentarspalten in den sozialen Netzwerken zu glühen. Ich will das hier nicht wiedergeben. Zu hasserfüllt, gehässig, schadenfroh und selbstgerecht ist das meiste, was ich da gelesen habe. Sollte sich bestätigen, dass Volker Beck Crystal Meth bei sich hatte, kann das fatale Folgen haben. Man mag ja die Freigabe von Cannabis diskutieren (ich bin übrigens dagegen), aber Crystal Meth ist eine ganz andere Liga. Dieses Gift ist noch brutaler als Heroin und Kokain. Es macht rasant schnell abhängig und hat massive Folgen für Körper und Psyche. Crystal Meth zerstört Menschen. Diese Droge hat in der Tasche eines Abgeordneten nichts, einfach gar nichts verloren. Politiker stehen in der Öffentlichkeit, sie haben auch als Vorbild eine Verantwortung, und nichts darf den Gedanken auslösen: „Wenn der das darf, darf ich das auch“. Darum ist es richtig, dass der Bundestagspräsident Volker Becks Immunität aufgehoben und die Staatsanwaltschaft ein Verfahren eingeleitet hat. Eines muss man Beck dabei zugutehalten: Er hat nicht geleugnet, nicht verschleiert, sondern noch am selben Tag seine Ämter zurückgegeben.

DRUCK, DRUCK, DRUCK
„Jede Gesellschaft hat ihre typischen Drogen“, sagte mir vor kurzem ein Drogenfahnder von der Kripo in Thüringen. „Crystal Meth passt ideal zur Leistungsgesellschaft.“ Auch das bewegt mich in diesem Zusammenhang. Gerade Politiker stehen unter einem enormen Leistungs- und Erwartungsdruck. Da ist die hohe Arbeitsbelastung, mit regelmäßigen 16-Stunden-Tagen. Da sind die vielen Entscheidungen mit ungewissen Auswirkungen (um nur ein Stichwort zu nennen: Militäreinsätze), die sehr häufig auch noch unter enormem Zeitdruck zu treffen sind. Da ist die ständige Beobachtung durch die kritische Öffentlichkeit. Dazu kommen permanente Angriffe auf die Privatsphäre, die durch Twitter und Facebook eine nie dagewesene Schärfe gewonnen haben. Der Begriff „Shitstorm“ ist das Synonym für dieses Phänomen. Was sich da Tag für Tag über Personen des öffentlichen Lebens ergießt, ist schlimmer als ein Kübel Fäkalien. Wir müssen uns fragen: Ist dieser Druck zumutbar? Kann das auf Dauer gut gehen? Und damit verbunden die Frage an die Christen: Können wir hier einen Unterschied in der Gesellschaft machen? Sollten wir nicht in der Form und in der Sache dazu beitragen können, eine „Kultur der Gnade“ zu »etablieren?

In der Form: Indem wir Politiker segnen, wertschätzend von ihnen reden und ein Vergehen ein Vergehen nennen, ohne den Menschen, der es begangen hat, zu verdammen und zu beschimpfen. In der Sache: Der christliche Glaube weiß um die Gnade. Menschen sind fehlerhaft: „Sie sind allzumal Sünder“ (Römerbrief, Kapitel 3). Menschen brauchen die Erlösung. Darum ist Christus für uns gestorben. Ein Christ ist kein besserer Mensch, sondern ein begnadigter Sünder. Eine Kultur der Gnade ist ehrlich. Sie weiß um das Scheitern und ermöglicht daraus den Neuanfang. Und sie erhebt sich nicht über den anderen.

DIFFERENZIEREN STATT VERDAMMEN
Ich sage es geradeheraus: Viele Christen tun das glatte Gegenteil. Sie verurteilen. Sie hetzen. Sie frohlocken, wenn dem Gegner ein Schaden widerfährt. Das darf nicht sein. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“, sagt Jesus. Wir sind nicht besser. Machen wir uns nichts vor. Wir sitzen im Glashaus. Stichworte? „Missbrauchsskandal“ reicht schon … Eine Kultur der Gnade verdammt niemals eine ganze Person. Sie differenziert. Ein Drogenfund in der Tasche ist fatal. Aber muss man wegen eines privaten Vergehens das politische Werk einer Person in Frage stellen? War Margot Käßmann eine schlechte Bischöfin, weil sie mit Alkohol am Steuer erwischt wurde? Wird nicht Helmut Kohl immer der Kanzler der Einheit bleiben – und das, obwohl er schwarze Kassen geführt hat (immerhin ohne sich persönlich zu bereichern)? König David war ein Ehebrecher und Mörder, und doch wird er „Mann Gottes“ genannt und war der größte König Israels.

Unrecht ist Unrecht, daran gibt es nichts zu beschönigen. Gnade, die alles durchgehen lässt, ist „billige Gnade“ (Dietrich Bonhoeffer). Wahrheit, Reue und Umkehr sind Bestandteile einer Kultur der Gnade, wenn sie eben keine billige Gnade sein soll. Gnade darf niemals zum Alibi werden, um einen Lebensstil zu rechtfertigen, der Unrecht tut und Menschen Schaden zufügt. Christen haben eine Stimme, um Unrecht auch Unrecht zu nennen. Aber Christen haben über Menschen nicht zu richten. Das ist Gottes Sache. Unsere Aufgabe hingegen ist es, die Kultur der Gnade zu pflegen.

Uwe Heimowski (51) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich, Stadtrat, Vater von fünf Kindern, Ehemann und Gemeindereferent. Sein neustes Buch trägt den Titel „Ich lebe!“ (neukirchener aussaat). Es ist ein mutiges Plädoyer für die Würde des Menschen.

Was denken Sie? Stimmen Sie dem Autor zu? Wo würden Sie ihm widersprechen? Diskutieren Sie mit unter www.movo.net.

Zwischen Zumutung und Zumüdung

Wenn die Predigt mal wieder nicht enden will oder du plötzlich mit deinen Gedanken wieder beim Fußballbundesliga-Spitzenspiel auf dem Platz stehst.

Als Jugendliche haben wir uns immer köstlich amüsiert, wenn mal wieder ein (meist älterer oder gesundheitlich herausgeforderter) Gottesdienstbesucher während der Predigt eingeschlafen ist. Später als Pastor habe ich das dann ganz anders gesehen – nämlich von vorne. Und glaube ja nicht, ein Prediger bekommt das nicht mit, wenn Leute einschlafen.

ERLÖSENDE KOLLEKTE
Nun scheint es landauf, landab tatsächlich eine sonntägliche Herausforderung zu geben, nämlich: Wie überstehe ich die Predigt, ohne zu schnarchen? Leider sind einige (viele?) der Sonntagsreden in unseren Gemeinden eine – man muss es wohl so hart formulieren – Zumutung. Oder zumindest eine Zumüdung. Allerdings muss man auch sagen, dass es besonders für Viel-Prediger nicht immer ganz einfach ist, fast jeden Sonntag die Leute vom Hocker zu reißen. Zumal die meisten Leute es nicht mehr gewohnt sind, länger als bis zur nächsten Werbung zuzuhören. Und die Gabe des Entertainments gehört auch nicht unbedingt zum üblichen Anforderungsprofil bei Neueinstellungen. Besonders schwierig ist das, wenn Kinder mit im Gottesdienst sitzen. So wie die kleine Frieda, die während der Predigt immer unruhiger wird. Schließlich hält sie es nicht mehr aus und fragt ihren Vater: „Papi, wenn wir dem Pfarrer die Kollekte jetzt schon geben, können wir dann früher gehen?“ Man könnte an dieser Stelle nun lang darüber nachdenken, was man in der Ausbildung der Prediger alles anders machen müsste. Zum Beispiel wäre es sicherlich sinnvoll, der (praktischen) Predigtausbildung mehr Raum und Zeit zu geben. Schließlich ist die Predigt der Teil des Pastorendaseins, von dem idealerweise am meisten Leute profitieren.

WIRD DIE PREDIGT ÜBERBEWERTET?
Außerdem könnte man überlegen, ob die Bedeutung der sonntäglichen Predigt für das Leben des Gottesdienstbesuchers nicht völlig überbewertet wird. Mir ging es ja selbst oft so, dass ich am Donnerstag nicht mehr wusste, über was ich am vergangenen Sonntag gepredigt hatte. Natürlich könnte man auch darüber sinnieren, ob der Predigtschlaf an sich nicht etwas sehr Wertvolles ist. Was gibt es denn Besseres, als mit dem Wort Gottes einzuschlafen und wieder aufzuwachen? Oder man stimmt in das allgemeine Lamenti mit ein, dass früher sowieso alles besser war. Besonders als man die Predigten akustisch nicht so gut verstand. Und außerdem sind die Ansprüche der Gottesdienstbesucher im Laufe der Jahre so gestiegen, da hält man ja sowieso nicht mehr mit. Deshalb heißt die Devise: Zurück zum Wort. Wenn die Leute das nicht aufmerksam verfolgen können, dann stimmt was nicht mit ihnen. Doch wie wäre es, wenn dem gemeinen Predigthörer einige Hilfen an die Hand gegeben werden, wie er mit den plötzlichen Ermüdungserscheinungen am Sonntagmorgen umgehen könnte? Der geneigte Leser möge sich die für ihn passenden Ratschläge selbst aussuchen.

14 TIPPS FÜR AUFGEWECKTE PREDIGTHÖRER:

FÜR BIBEL-TREUE:
Nimm deine eigene Bibel mit. Sollte der Prediger einen Bibelvers erwähnen, schlage ihn nach und überprüfe, ob er auch richtig zitiert wurde.

FÜR ERMUTIGER:
Überlege dir doch, was du der Pastorin, dem Pastor trotz-dem Nettes sagen könntest. Z. B. einen Bibelvers … „Herr Pfarrer, sie sollten nicht so oft predigen müssen“ ist übrigens nicht so hilfreich.

FÜR EXTROVERTIERTE:
Bestätige die Aussagen des Predigers mit kräftigen „Amen!“- oder „Preach it!“- Ausrufen. Das hilft auch den anderen, wach zu bleiben.

FÜR GEISTLICHE:
Bete für den Menschen auf der Kanzel. Oder deine Platznachbarn. Oder die Gemeinde. Oder den Weltfrieden. Oder die baldige Wiederkunft Jesu.

FÜR GEMEINSCHAFTSSUCHENDE:
Frage deinen Sitznachbarn, ob er mit dir eine Runde „Schiffe versenken“ oder „TicTacToe“ spielt. Ballsportarten sind nicht so gut geeignet.

FÜR HACKER:
Spiele doch an den besonders langweiligen Stellen einfach ein bisschen Werbung ein.

FÜR HILFSBEREITE:
Setz dich immer neben die, die am müdesten aussehen. Dann kannst du sie stützen, wenn sie einschlafen.

FÜR INNENARCHITEKTEN:
Zähle doch mal die einzelnen Teile der Kirchenfenster und überlege dir, wie man den Innenraum etwas aufhübschen kann.

FÜR KÜNSTLER:
Übe dich im Porträtieren des Predigers. Falls dir diese Kunst zu hoch ist, packe deinen Kritzelblock aus.

FÜR QUIZ-MILLIONÄRE:
Schlage den hinteren Teil des Gesangbuches auf und präge dir die biographischen Daten von Paul Gerhardt & Co ein. Dieses Wissen könnte dich bei der Millionenfrage retten.

FÜR KINDERLIEBE:
In den Kindergottesdiensten werden männliche Mitarbeiter mit Kusshand genommen. Dabei wird selten nach der Motivation gefragt …

FÜR MOVO-LESER:
Erinnere dich an diesen Artikel und überlege, welche Tipps man noch ergänzen könnte.

FÜR MUTIGE:
Selber Predigen macht schlau – und demütig. Wirf dein Talent in den Ring.

FÜR TECHNIKFREAKS:
Nimm die Bibel auf dem Tablet oder dem Handy mit. Dann kannst du nebenher gleich deine Mails beantworten, die nächste Woche planen oder schonmal den Backofen mit der Pizza anfeuern.

Stefan Bitzer (www.stefanbitzer.de) aus Reutlingen war zehn Jahre lang Pastor und fragt sich, ob er nach dem Artikel noch mal zum Predigen eingeladen wird oder werden will.

Was sind Ihre Predigterfahrungen? Welche witzigen, aber auch ernstgemeinten Tipps hätten Sie auf Lager? Beteiligen Sie sich unter www.movo.net.

Alles Schoggi oder was?

Warum einem die Rätsel des Lebens nicht immer auf der Zunge zergehen.

Nach meinem Referat über Dankbarkeit stand er vor mir. Ein eleganter Herr, ehemaliger Bankkaufmann. Nun klagt er mir sein Leid. In farbigen Bildern malt er mir seine attraktive Frau vor mein inneres Auge. Gestorben sei sie. Vor zwei Jahren, mitten aus dem Leben genommen. Untröstlich ist er seither. Es war so schön mit ihr. „Was sagen Sie dazu?“, wollte er von mir wissen und wollte doch mehr, als eine Antwort zu hören, seine Erfahrungen mit gutmeinenden Christen teilen: „Ich soll Hiob lesen, haben sie mir geraten.“ Oder davon, dass „alles zuerst bei Gott durch muss“, haben sie ihm erzählt. Und dass sein Schicksal eine göttliche Prüfung sei.

Da kam mir die Serviette mit dem Aufdruck “Chocolate is the answer – who cares what the question is” wieder in den Sinn. „Schokolade ist die Antwort – wen interessiert, was die Frage ist?” Ist es wirklich so einfach? Das Leben ist aber etwas komplizierter und die Schoggi-Antwort greift einfach zu kurz. Die schnellen Antworten „schützen“ uns davor, uns den komplexen Fragen und komplizierten Problemen im Alltag stellen zu müssen. Wer eine schnelle (Schoggi-)Antwort bereithält, braucht nicht nachzudenken, kommt nicht ins Grübeln, hat keine Zweifel … Hauptsache, er oder sie hat Schoggi. Aber was, wenn die Schoggi eines Tages doch zu einfach ist und wir feststellen: Nicht jede Frage kann mit einer Schoggi-Antwort befriedigend geklärt werden?

Leider treffe ich das Schoggi-Phänomen immer mal wieder auch in christlichen Kreisen an. „Jesus ist die Antwort – wen interessiert da noch die Frage!?” Ich bin zutiefst überzeugt, dass Jesus tatsächlich an jeder unserer Fragen interessiert ist, unsere Probleme ernst nimmt und uns helfen will, in unserem komplexen Leben Frieden und Zufriedenheit zu erfahren. Doch die zu einfache Schoggi-Lösung „Jesus ist die Sofortlösung für alle Probleme” greift entschieden zu kurz. Davon kann der elegante Witwer ein Liedchen singen. Ich habe einen Verdacht: Wer sich allzu schnell mit einem „Jesus ist die Antwort” zufriedengibt, hat sich nicht wirklich den Problemen gestellt, bleibt an der Oberfläche kleben. Und möglicherweise bleibt der „Schoggi-Jesus“ eine schöne Theorie, die sich jedoch noch nicht in einem von Krisen erschütterten Leben bewährt hat. Wer aber durch all die Irrungen und Wirrungen des Lebens gegangen ist und dabei das Leben mit Jesus „durchgekaut“ hat, kommt hoffentlich tatsächlich zum Schluss: Jesus hat mir nicht all meine Probleme weggenommen, aber er hat mich durchgetragen, hat mir Freunde an die Seite gestellt, führte mich zu professionellen Stellen …

Ich habe begonnen, mich damit abzufinden, dass ich so manches Rätsel des Lebens nie lösen werde. Das heißt jetzt nicht, dass ich mich den Rätseln des Lebens als machtloser Spielball hingeben will. Keinesfalls! Ich werde das Leben entdecken, entfalten und gestalten. Und wo möglich, werde ich auch das ein oder andere Rätsel knacken und dem Leben auf die Schliche kommen. Doch ich gebe den Versuch auf, alles verstehen zu müssen. Die Warum-Frage macht mich nicht glücklich. Ich will nicht rückwärtsgewandt den ungelösten Fragen meines Lebens nachhängen, sondern vorwärtsgewandt den Weg gestalten, auf dem ich jetzt Schritt für Schritt unterwegs bin. Eines ist auch da gewiss: Das Leben bleibt ein Rätsel.

Stefan Gerber, Theologe im SCM Bundes-Verlag (Schweiz) sowie Autor von „Glück finden – hier und jetzt“. Verheiratet mit Brigitte Gerber-Urfer und Vater von Joy Nina (13) und Janosch Noah (10).

Unter allen Einsendungen unter dem Stichwort „Alles Schoggi“ an  info@MOVO.net verlosen wir eine von fünf leckeren Schweizer  Schoggi-Tafeln. Einsendeschluss ist der 15.08.2016.

Nicht ganz trocken

Andrea Schmidt ist Bildungsreferentin beim Blauen Kreuz  und zuständig für die Begleitung der ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Ein Gespräch über Kontrollverlust im Genuss.

Feiert das Blaue Kreuz auch 500 Jahre Deutsches Reinheitsgebot?
(lacht) Ich glaube, die wenigsten wissen von dem Jubiläum. Bier ist für viele ein „Grundnahrungsmittel“, und wenn das unter das Reinheitsgebot fällt, ist das grundsätzlich eine gute Sache. Für alkoholabhängige Menschen und damit für uns im Blauen Kreuz ist das Jubiläum kein Anlass für eine Feier.

Stimmt die Aussage »Alkohol macht dumm«?
Ja. Das Gehirn hat hundert Millionen Nervenzellen, und es ist erwiesen, dass Alkohol die Nervenzellen angreift, das Gehirn schneller altern lässt und zum Abbau von kognitiven Fähigkeiten führt. Bei chronisch Alkoholkranken kann das Gehirn bis zu 15 % schrumpfen. Das Zwischenhirn kann sogar teilweise zerstört werden, das sogenannte Korsakow-Syndrom ist einer Demenz ähnlich.

Macht das regelmäßige Feierabendbier schon abhängig?
In der Regel nicht. Trotzdem warnt die Gesundheitsorganisation: Alkohol ist ein Zellgift und es ist nicht gesund, jeden Tag zu trinken. Um abhängig zu werden, müssen noch weitere Faktoren hinzukommen, sodass Alkohol nicht mehr nur aus Genuss getrunken wird, sondern zusätzlich eine andere Funktion bekommt: Einsatz gegen Schlaflosigkeit, Abmilderung negativer Gefühle, Abbau von Hemmungen oder Förderung von Entspannung. Hier entsteht eine seelische Abhängigkeit, die sich unmerklich in eine körperliche verändern kann.

Wie definiert sich Sucht?
Im medizinischen Sinne ist es eine seelische und/oder eine körperliche Abhängigkeit von einer Substanz wie Alkohol, Tabletten oder Drogen (stoffgebundene Abhängigkeit), oder von einer Verhaltensweise wie Spielsucht, Kaufsucht oder ähnlichem (stoffungebundene Abhängigkeit). Beide Arten von Süchten weisen ein unabweisbares Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand auf und führen beim Absetzen zu Entzugserscheinungen. Bei stoffgebundenen Süchten wirkt eine Substanz, beispielsweise Nikotin oder Alkohol, auf das Gehirn ein. Bei stoffungebundenen Süch-ten handelt es sich um Verhaltensweisen, die zwanghaft ausgeführt werden müssen.

Hat Alkohol einen zu hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft?
Ja! Werbung gaukelt allen ohne Ausnahme vor, dass das Leben mit Alkohol wesentlich entspannter und aufregender ist: „Ohne Alkohol keinen Spaß.“ Also haben wir dieses Bild, dass wir Alkohol brauchen, um mehr in Stimmung zu kommen. Natürlich enthemmt Alkohol und es fällt leichter, sich gehen zu lassen. Wer schaut schon Fußball mit seinen Freunden ohne ein Bier? Und auch in Filmen fällt auf, dass die Charaktere bei Problemen an die Bar gehen und sich erst einmal einen Drink gönnen. Wenn es allerdings kippt und jemand die Kontrolle verliert, wird er fallengelassen. Wer seinen Alkoholkonsum nicht mehr steuern kann, gilt gesellschaftlich als Versager, der „willenlose Penner“, der sein Leben nicht in den Griff kriegt. Ich finde das paradox.

Woran kann ich erste Anzeichen von Alkoholabhängigkeit erkennen?
Das ist ein schleichender Prozess. Kein Betroffener kann im Rückblick sagen, wann genau er körperlich abhängig geworden ist. Umso schwieriger sind erste Anzeichen zu erkennen. Wenn sich die Gedanken nur noch um den Al-kohol drehen, wenn immer das Verlangen da ist, wenn sich Schuldgefühle über das Trinkverhalten einstellen und man beginnt, heimlich zu trinken, dann liegt auf jeden Fall ein missbräuchlicher Konsum vor. Wer die Kontrolle über sein Trinkverhalten verloren hat, steckt schon mitten in der Abhängigkeit.

Sind Männer grundsätzlich gefährdeter als Frauen?
Bei Alkohol kann ich mir das sehr gut vorstellen, weil Männer sich häufiger in einem sozialen Umfeld aufhalten, in dem viel getrunken wird. Sie werden deswegen aber nicht eher süchtig. Männer und Frauen greifen eher zu unterschiedlichen Suchtmitteln. Bei Frauen gibt es eine größere Anzahl an Medikamentenabhängigen. Bei stoffungebundenen Süchten wie Magersucht, Ess- oder Brechsucht oder Kaufsucht sind eher Frauen zu finden, während wiederum mehr Männer süchtig nach Glücksspielen werden. Das Suchtmittel variiert, aber die Tendenz zur Sucht lässt sich nicht am Geschlecht festmachen.

Was empfehlen Sie zur Prävention?
Prävention fängt in der Erziehung an: Kinder stark machen, ihnen zu einem guten Selbstwertgefühl verhelfen, ihnen Geborgenheit vermitteln, sie aber auch loslassen können. Auch Erwachsene können zum ersten Mal oder wieder neu lernen, Selbst-Bewusstsein zu entwickeln. Sich selbst gut kennen und annehmen können – seine Gaben und Fähigkeiten, aber auch Grenzen gut einschätzen zu können, das ist die beste Prävention.

Wie gehe ich damit um, wenn meine Kinder sich jedes Wochenende betrinken? Wie gebe ich ihnen als Vater die Unterstützung, die sie brauchen? Soll ich sie mit ihrem Verhalten konfrontieren oder eigene Erfahrungen machen lassen«?
Wenn das Kind 13 oder 14 Jahre alt ist, muss eher eingegriffen werden, als wenn es 17 oder 18 ist. Je früher Kinder Alkohol trinken, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit für eine Abhängigkeit. Ein kindlicher Organismus verträgt keinen Alkohol. Dann ist es fahrlässig, wenn Eltern nicht darüber sprechen. Das Gespräch ist das Wichtigste, auch wenn das in dem Alter sehr schwierig ist. Ohne Vorwürfe die eigene Sorge mitteilen und auf die negativen Folgen von Alkohol hinweisen. Nach Hintergründen fragen: „Was ist los? Wozu brauchst du das? Warum kannst du nicht aufhören?“ Wo kein Weiterkommen ist, kann eine Suchtberatungsstelle aufgesucht werden, um individuell zu schauen, wie mit dem Kind umgegangen werden kann. Es ist immer gut zu wissen, wo mein Kind erreichbar ist und wie und wann es wieder nach Hause kommt. Absprachen mit vielleicht genauso besorgten Eltern aus dem Freundeskreis oder Kontakte zu Bezugspersonen meines Kindes sind ebenfalls hilfreich.

Wie kann ich Alkoholmissbrauch als Vorgesetzter oder Kollege ansprechen?
Jeder Vorgesetzte hat eine Fürsorgepflicht, Angetrunkene auf der Arbeit wieder nach Hause zu schicken, damit sie sich und andere nicht gefährden. Wenn es wiederholt vorkommt, ist ein Gespräch unbedingt nötig. Auch Kollegen können oder sollen das Gespräch nicht scheuen. Wer sich in seinem Verhalten verändert, wiederholt zu spät kommt, häufig krank ist, Absprachen nicht mehr einhält, unzuverlässig wird und unkonzentriert wirkt, der könnte ein Suchtproblem haben oder andere Schwierigkeiten. Ein kollegiales Gespräch, das nicht vage bleibt, sondern konkrete Situationen benennt, kann zu einer großen Hilfe werden. Schweigen aus der Angst heraus, jemanden zu verletzen, hilft niemals. Ohne Grund hört niemand auf zu trinken. Ohne Druck passiert nichts. Dort, wo man merkt, dass man mit dem Leben und dem Suchtverhalten nicht mehr klarkommt, beginnt die Einsicht,  dass sich etwas ändern muss.

Vielen Dank für das Gespräch!

Melanie Eckmann fällt inzwischen auf, wie oft der Protagonist in ihrer Lieblingsserie einen Drink zu sich nimmt.

 

Alkoholmissbrauch – Wo bekomme ich Hilfe?

  • „ALKOHOL? KENN DEIN LIMIT!“

Über den Umgang von Eltern mit suchtgefährdeten Kindern kann bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) kostenlos die Broschüre „Alkohol – Reden wir darüber. Ein Ratgeber für Eltern“ bestellt werden (www.bzga.de).

 

  • HOTLINE: 01805 – 313031

Die anonyme und bundesweite Sucht & Drogen Hotline ist ein Angebot für alle, die Fragen und Probleme zum Thema Sucht haben (www.sucht-und-drogen-hotline.de).

 

  • Blaues Kreuz – Wege aus der Sucht

www.blaues-kreuz.de

Auf der faulen Haut?

Aus dem Alltag eines Bundestagsabgeordneten

„Was tun die eigentlich?“, fragte ein empörter Bürger, als er erfuhr, wo ich arbeite. Er hatte auf phoenix eine Bundestagsdebatte verfolgt und mit Entrüstung den (fast) leeren Plenarsaal zur Kenntnis genommen. Der Mann steht mit seiner Empörung nicht alleine. Seit sechs Jahren arbeite ich für einen Bundestagsabgeordneten, kurz MdB, und kaum eine Frage wird mir häufiger gestellt. Was tun die eigentlich? Genau genommen sind das ja sogar zwei Fragen: 1) Warum ist der Plenarsaal so spärlich besetzt? 2) Was tut ein MdB den lieben langen Tag?

DARUM IST DER BUNDESTAG LEER

Nummer eins ist schnell beantwortet: Die meisten Debatten im Bundestag werden zu Fachfragen geführt. Jeder MdB hat Spezialgebiete, in die er sich als Sprecher oder Berichterstatter intensiv einarbeitet. Dazu bilden sich die Fachausschüsse (26 sind es zurzeit, in jeder Wahlperiode werden sie neu besetzt) und analog thematische Arbeitsgruppen der Parteien. Zu breit ist die Themenpalette, die im Bundestag beraten wird, als dass sich jeder einzelne MdB über jeden Gesetzesentwurf minutiös informieren könnte. In den Fraktionen berichten die Experten dann, eine Diskussion ermöglicht die Meinungsbildung für alle anderen. Redner in den Debatten sind dann jeweils die Ausschussmitglieder zu ihren Berichterstatterthemen. Da die Sitzungswochen sehr voll sind, finden Ausschüsse und Plenum parallel statt. Die Tagesordnung wird so gestaltet, dass die Themen möglichst nicht mit den zuständigen Fachausschüssen kollidieren. Daher der leere Plenarsaal: Die meisten Abgeordneten sind während dieser Zeit in ihren Ausschüssen. Zu aktuellen Stunden, Regierungserklärungen, Themen mit allgemeiner Bedeutung (etwa bei Gewissensfragen) und natürlich zu den Abstimmungen kommen dann alle MdBs ins Plenum.  Für die zweite Frage möchte ich (mit freundlicher Genehmigung) einen Blick in den MdB-Kalender von Frank Heinrich werfen. Ich wähle ein beliebiges Datum. Stellvertretend für jeden anderen Sitzungstag, und ebenfalls stellvertretend für die anderen Abgeordneten, deren Tage ein ähnliches Pensum aufweisen.

DAS MACHT EIN BUNDESTAGSABGEORDNETER DEN LIEBEN LANGEN TAG

Mittwoch, 23. September 2015. Um 6:30 Uhr klingelt der Wecker, duschen, Frühstück, parallel: einige dringliche Emails beantworten. 7:15 Uhr Abfahrt von der Wohnung zum Jakob-Kaiser-Haus, im Auto: Telefonate. Dort um 7:45 Uhr Französisch-Kurs (beim Arbeitsschwerpunkt Afrika sind viele Diplomatengespräche auf Französisch), im Anschluss um 9:00 Uhr Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit (AWZ) im Paul-Löbe-Haus. Mit dabei: Postmappe zur Durchsicht (mal sind es zehn, mal fünfzig Briefe pro Tag). 10:45 Uhr Gesprächstermin im MdB-Büro mit Vertretern einer Stiftung, Ideenaustausch zu Projekten im Wahlkreis. Im Anschluss, kurze Abstimmung mit den Mitarbeitern im Büro, mehrere Telefonate. 13:00 Uhr Reichstag: Treffen mit der Europaministerin Albaniens, Thema: Flüchtlinge. 14:00 Uhr Öffentliche Anhörung zur Sterbebegleitung (Mitarbeiter übernimmt und schreibt mit). 14:30 Uhr Treffen der Obleute des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (MRA), Absprachen zur Tagesordnung, 15:00-18:00 Uhr MRA mit zwei eigenen Berichterstattungen – parallel:
Aktuelle Stunde im Plenum. 18:00 Uhr MdB-Büro: Treffen mit Terre de femme, Thema: Zwangsprostitution. Im Anschluss: Briefing durch Mitarbeiter zu Themen des Tages (u.a. Öffentliche Anhörung), kurze Absprache zu Post und Emails. Um 19:30 Uhr Fahrt zum Jugendgästehaus, Diskussionsrunde mit Teilnehmern der „Tage der Begegnung“ als einer von vier MdBs, danach Gespräche mit den jungen Erwachsenen, Ende: 22:00 Uhr. Parallel: „Ruf-Bereitschaft“, bei strittigen Abstimmungen Fahrt ins Plenum (heute bis ca. 23:00 Uhr). Besonderheit an diesem Tag: nur ein Abendtermin, manchmal sind es (trotz Auswahl und Absagen) bis zu drei Termine nacheinander. Im Anschluss Fußweg zur Wohnung, dabei mehrere Telefonate. Zuhause: Emails beantworten, zwischen 1:00 Uhr und 2:00 Uhr erlischt das Licht. Nächster Morgen: 7:00 Uhr klingelt der Wecker.
Ein Journalist, der vor einiger Zeit Frank Heinrich einen Tag lang im Bundestag begleitet hat, stellte nachmittags die Frage: „Wann essen Sie eigentlich?“ Gute Frage. „Was tun die eigentlich?“ hatte sich erübrigt. Essen: Wenn es passt. In manchen Sitzungssälen lassen sich belegte Brötchen erwerben. Manchmal passt es nicht. Manchmal wird aus einem Termin ein Arbeitsessen.

DÄUMCHEN DREHEN TUT HIER NIEMAND

Soweit zu den Bundestagswochen. Dazu kommen die Ter-mine im Wahlkreis. Gut die Hälfte seiner Zeit verbringt ein MdB dort. Und es reiht sich ebenfalls Termin an Termin: Mein Chef, der aus dem Sozialbereich stammt, nutzte sein erstes Jahr für Firmenbesuche, um sich ein Bild von der Wirtschaft in Chemnitz zu machen. Da kamen in eineinhalb Jahren über 160 Besuche zusammen. Plus Bürgersprechstunden, Gesprächsrunden, Vorträgen, Schülerprojektwochen, Diplomatenbesuchen – und manchem mehr. Fazit: Man muss nicht mit allem einverstanden sein, was Politiker tun. Aber eines dürfte deutlich geworden sein: Auf der faulen Haut liegt im Deutschen Bundestag niemand.

Uwe Heimowski (51) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich, Stadtrat, Vater von fünf Kindern, Ehemann und Gemeindereferent in der Evangelisch freikirchlichen Gemeinde Gera.

Was denken Sie? Hätten Sie das gedacht? Wie sieht Ihr Alltag aus? Diskutieren Sie in den Kommentaren mit.

 

Church goes Pub

Eine Kirche in der Kneipe

Gott spricht durch unser Leben. »Church goes Pub« (CgP) sucht diese Lebensgeschichten und lässt andere daran teilhaben. Mitten im Leben, mitten unter Menschen.

„Church goes Pub ist für Menschen, denen Sonntagmorgen zu früh, Kirchenbänke zu hart und Predigten zu theoretisch sind.“ Zugegeben, unser Slogan ist provokativ! Die Ironie dahinter: Unsere Veranstaltungskneipe ist bestückt mit alten Holzbänken, die jeder kerzengeraden und harten Kirchenbank locker das Wasser reichen können. Die Kneipe ist trotzdem regelmäßig bis auf den letzten Platz gefüllt.

Sonntagabend, 18 Uhr. Der Raum füllt sich mit Menschen. Auf den Tischen brennen Kerzen, aufgesteckt auf Bierflaschen. Daneben je ein aus Pappe gebasteltes Kirchenschiff.  Zusammen bilden sie das Logo von „CgP“ – eine Bierflasche als Kirchturm mit Kreuz. Noch sieht es aus wie ein ganz normaler Bistroabend in der „Galerie“, einer gemütlichen Kneipe in Roten-burg an der Fulda. Die Gäste trinken ein Bier, bestellen ihr Essen, reden, lachen, begrüßen sich. Viele haben ihre Freunde mitgebracht. Die Sitzplätze an den Tischen sind längst belegt. Manche stehen entlang der Wand oder sitzen auf Barhockern am Tresen. Ein „Männerproblem“ haben wir nicht. An was das wohl liegt?  Kann man doch ganz unbefangen am Tresen sitzen und sein Bierchen trinken, muss nicht singen, beten, aufstehen oder sonst etwas machen – einfach da sein, ohne, dass jemand etwas von einem will. Wie geschaffen für Männer, die Fragen über Gott haben.

Dieser Abend ist eine Möglichkeit, Menschen mit Gott in Kontakt zu bringen, Erfahrungen mit dem Glauben an Jesus Christus zu teilen. Ganz ungezwungen entwickelt sich ein Gespräch beim Abendessen in der Kneipe mit Fremden und Freunden. Genau das geschieht an jedem „CgP“-Abend ab 20 Uhr, wenn jemand aus seinem Leben erzählt. Keine theoretische Predigt, sondern Menschen, die ihre Geschichte mit Gott erzählen. Ein ehemaliger hochrangiger Berufssoldat, zweifacher Witwer, begegnete Gott durch seine zweite Frau. Ein Geschäftsmann, der an einem Burnout fast zerbrach und sein Leben neu ordnete. Ein Pastor, der in tiefe Depressionen fiel und seine ganz persönlichen Fragen an Gott hat, zweifelt, angefochten ist. Eine Mutter, die ihren Mann mit Mitte dreißig durch eine Krebserkrankung verlor und mit den kleinen Kindern alleine zurückblieb. Geschichten, die das Leben schreibt. Immer mit den Fragen: Wo und wie habe ich Gott in meinem Leben erfahren? Was hat der Glaube an einen lebendigen Gott mit meinem Alltag, mit meinen Krisen, Herausforderungen und auch den schönen Momenten meines Lebens zu tun?

Ich staune beim Zuhören immer wieder über Gottes Realität und seine persönliche Geschichte mit jedem Menschen – oft von Krisen geprägt. Aber er ist treu! Hier finden Lebensgeschichten aus der Wirklichkeit der Zuhörer ihren Platz, keine Glaubenshelden und Berühmtheiten. Wir erleben, dass Menschen Fragen an das Leben und Gott haben, auf der Suche nach Sinn und Halt sind. In den Lebensgeschichten finden sie Antworten. Als „CgP“-Team sind wir erstaunt über die unterschiedlichen Menschen, die an diesen Abenden in die Kneipe kommen: 60 bis 80 Personen im Alter zwischen 20 und 70 Jahren. Viel mehr Platz bietet diese Kneipe nicht. Diese kuschelige Enge ist die von den Gästen geliebte, besondere Atmo-sphäre, die Gemeinschaft vermittelt. Natürlich kommen Christen – auch aus anderen Gemeinden. Viel spannender ist: Es kommen viele Christen, die von christlichen Gemeinden enttäuscht wurden, verletzt oder sogar rausgeflogen sind. Sie genügten nicht den moralischen Ansprüchen – eine Ehe scheiterte oder Lebensschicksale passten nicht in das fromme Weltbild. In der Gemeinde fanden sie keinen Halt, sondern aufgerichtete Schranken. Menschen, die scheiterten, aber dennoch glauben wollen. Sie suchen die Begegnung mit vorbehaltlosen Christen. Genauso kommen Menschen, die mit Gott und Gemeinde wenig bis gar nichts am Hut haben, aber auf der Suche nach Gott sind.Nach der Lebensgeschichte gibt es noch zwei weitere Lieder unserer Band und eine offene Fragerunde an den Redner. Mindestens dreieinhalb Stunden waren Menschen zu Gast in der Kneipe und konnten dabei Gott begegnen. Oft entstehen noch lange, tiefgründige Gespräche an den Tischen, über Gott und das Leben.

„CgP“ ist ursprünglich eine Idee junger Christen aus Magdeburg. Wir haben uns gefragt: „Kann das, was in einer Studentenstadt funktioniert, auch in einer nordhessischen Kleinstadt gelingen?“ Es war für uns ein Vertrauensschritt, dieses Projekt in Rotenburg zu beginnen. Gott hat dafür den richtigen Moment geschenkt, die Türen geöffnet, und es hat sich schnell ein motiviertes, leidenschaftliches und buntes Team von Christen gebildet, die sich bis heute in dieses Projekt investieren. Die Menschen heute sind offen und auf der Suche, haben ihre Fragen an Gott. Mit „CgP“ gehen wir zu den Menschen an einen Ort, an dem sie sich auch sonst treffen, der ihnen vertraut ist. Jesus hat gesagt: „Kommt her zu mir!“ Aber zu den Jüngern hat er gesagt: „Gehet hin!“ Das tun wir mit „Church goes Pub“.

Thomas Sackmann (41) ist verheiratet und Vater von drei Söhnen. Als Prediger in der Evangelischen Chrischona Gemeinde Braach ist er Mitbegründer von „Church goes Pub“ in Rotenburg an der Fulda. Nebenher arbeitet er als Coach und Seelsorger.

Weitere Informationen finden Sie unter www.churchgoespub.de, auf facebook und auf der DVD „Kirche erfrischend vielfältig, Volume 2“ (www.scm-haenssler.de).

Unfertige Schreibtischnotizen

Schwarz-Weiß-Antworten sind leicht gefordert – und doch so schwer zu geben. Das gilt besonders für das Thema Nummer Eins dieser Tage: Flüchtlinge.

1. Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch. „Und  Gott schuf den Menschen zum Bilde Gottes, zum Bilde Gottes schuf er ihn“ (1. Mose 1). Weiß, schwarz, bunt. Männlich, weiblich. Menschlich. Ein Humanum, jederzeit jeder Humanität wert.

2. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 1,1). Unantastbar? Unverlierbar ja. Und doch wird sie täglich angetastet: Die Würde der Frauen durch Unterdrücker, Vergewaltiger und Menschenhändler. Die Würde der Glaubenden durch Fundamentalisten und Fanatiker. Die Würde der frei Denkenden durch politische Verfolgung und diktatorische Zensur. Die Würde der Intimität des Individuums durch Moralisten und Voyeure. Die Würde der Armen durch den Zynismus der Reichen.

3. „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (GG Art. 16a). Dazu das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: „Politisch ist eine Verfolgung dann, wenn sie dem Einzel-nen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Das Asylrecht dient dem Schutz der Menschenwürde in einem umfassenderen Sinne.“

4. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 „legt klar fest, wer ein Flüchtling ist, und welchen rechtlichen Schutz, welche Hilfe und welche sozialen Rechte sie oder er von den Unterzeichnerstaaten erhalten sollte. Aber sie definiert auch die Pflichten, die ein Flüchtling dem Gastland gegenüber erfüllen muss, und schließt bestimmte Gruppen – wie Kriegsverbrecher – vom Flüchtlingsstatus aus“ (zitiert nach www.uno-fluechtlingshilfe.de)

5. „Alles, was Recht ist“, sagt der Volksmund. Und: „Was Recht ist, muss Recht bleiben“. Asylrecht ist Asylrecht. Eine Bürgerpflicht und eine Christenpflicht. Eine Aufgabe von Verfassungsrang. Kein Almosen. Aber auch kein Rechtskreis, über den sich Zuwanderung regeln ließe oder regeln dürfte. Schutz bekommt, wer Schutzes bedarf.

6. Ein Bekannter sagte neulich: „Die Arschlöcher sind überall auf der Welt gleichmäßig verteilt.“ Bei Deutschen ebenso wie bei Migranten. Also wird man immer Beispiele für Kriminalität finden. Hier wie dort.

7. Was Christen glauben, geht noch einen Schritt weiter: Jeder Mensch ist Geschöpf und Sünder zugleich. Niemand ist nur Täter. Niemand ist nur Opfer. Die Unterscheidung in gute und schlechte Menschen ist kein christlicher Gedanke. Politisch Verfolgte haben in Deutschland ein Recht auf Asyl. Menschen aus wirtschaftlich schlecht entwickelten Regionen nicht. Das ist eine juristische Tatsache. Keine moralische. Flüchtlinge, also Menschen erster und zweiter Klasse, darf es nicht geben – auch, wenn nicht alle bleiben dürfen.

8. „Hass macht hässlich!“, las ich vor kurzem auf einem Demo-Plakat. „Stimmt“, dachte ich, als ich den Träger des Schildes ansah … In der islamischen Welt blühen Terror, Diskriminierung und auch Antisemitismus – »
das dürfen wir auf deutschem Boden nie wieder zulassen. Jeder Flüchtling, der hier bleiben will, muss das Grundgesetz akzeptieren. Wie jeder Deutsche auch. Aber niemand, der seine Angst vor dem Islam oder seine Kritik an der Regierung äußert, hat das Recht zu hassen. Keine NPD und keine Antifa und niemand sonst. Ein Christ schon gar nicht. „In der Welt habt ihr Angst“, sagt Jesus, aber er fährt nicht fort, „doch euer Hass wird sie überwinden“, sondern „seid getrost, ich habe sie überwunden“ (Johannes 16,33).

9. Sozialer Frieden und rechtsstaatliche Prinzipien sind neben wirtschaftlichen Interessen der Kerngedanke der Europäischen Einigung. Man kann die Abkommen Schengen und Dublin diskutieren, und es zeichnet sich ab, dass man sie wohl auch neu wird verhandeln müssen, aber sie de facto außer Kraft zu setzen, ist inakzeptabel. Recht ist nur dann wirklich Recht, wenn es auch umgesetzt wird.

VON EINER OHNMACHT IN DIE NÄCHSTE OHNMACHT

10. Gehen wird, wer keinen Grund zum Bleiben hat. Doch Rausekeln funktioniert nicht. Weder „Nazis raus!“ noch „Alle abschieben!“. Wohin denn, bitteschön? Seenotrettung im Mittelmeer. Eine humanitäre Pflicht. Doch zu wem soll man sie bringen? Einen libyschen Staat gibt es nicht mehr. „Dann lasst sie doch ersaufen“, sagte mir ein Nachbar vorige Woche, „das wird sich schon rumsprechen.“ Muss man das noch kommentieren? Fluchtursachenbekämpfung ist das Gebot der Stunde. Doch wie kriegt man Putin und Obama und die Weltgemeinschaft an einen Tisch zum Thema? Und setzt man Assad dazu? Es ist ein Dilemma: Wer Diktatoren gewähren lässt, riskiert das Leben von Menschen, siehe Nordkorea; wer sie stoppt, riskiert ebenfalls das Leben von Menschen, siehe Irak.

11. „Schwerter zu Pflugscharen“. Ja. Am besten man baut gleich Pflüge. Aber rüstet man damit seine Polizei und seine Armee aus? Und wer gibt freiwillig sein Schwert beim Schmied ab?

Und noch so viel mehr wäre zu sagen, ist zu erwägen – und dabei auch noch in Akkordtempo täglich zu erledigen.

Uwe Heimowski (51) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich, Stadtrat, Vater von fünf Kindern, Ehemann und Gemeindereferent in der Evangelisch freikirchlichen Gemeinde Gera.

Hartei-Glaube

Ein gängiges Vorurteil lautet: Nur den Schwachen, Spießern und Deppen dient der Glaube als Gehhilfe. Alexander Garth hält dem entgegen: Das Christsein ist nichts für Weicheier.

Vor einigen Jahren kamen die Weichei-Wörter auf. Einige davon finde ich recht lustig. Meine Favoriten: Brigitte-Leser und Teletubbies-Zurückwinker. Noch besser fand ich die Hartei-Wörter: Hooligan-Schubser, Kampfhund-Fressen-Wegnehmer, Kaktusstreichler und Russenmafia-Bescheißer – darüber kann ich mir ins Knie beißen vor Lachen. Nachdenklich wurde ich indes, als jemand auf einer Party behauptete, gläubige Menschen seien Weicheier.

NUR SCHWACHE BRAUCHEN KRÜCKEN

Das Christentum – eine Weichei-Religion? Ich kenne die Meinung, dass der Glaube vor allem etwas ist für Menschen, die im Leben nicht klarkommen, für die Schwachen, Abhängigen, Labilen, vom Leben Betrogenen. Wer sein Leben im Griff hat, stark und selbstbewusst ist, braucht die Krücke des Glaubens nicht. Die Erfolgreichen und emotional Gesunden haben so etwas wie Religion nicht nötig. Sie finden sich ohne himmlischen Beistand in dieser chaotischen Welt zurecht. Ist etwas dran an dieser Partybehauptung? Macht das Gefühl der eigenen Schwäche und des eigenen Unvermögens für den Glauben empfänglich? Sind Christen anlehnungsbedürftiger? Wahr ist, dass der Glaube Halt gibt und Sinn stiftet. Und wahr ist auch, dass es unter den Gläubigen viele Menschen gibt, die ihr Leben nicht so recht packen. Der Glaube kann in der Tat eine Krücke sein, um das Dasein überhaupt zu meistern. Aber für viele ist er ein Sprungbrett, durch das man sich mit vermehrter Kraft ins Abenteuer Leben stürzt. Der Glaube hat durchaus etwas Sportliches. Es geht darum, etwas in dieser Welt positiv voranzubringen. Wohl tröstet der Glaube, aber Trost und Lebenshilfe ist eher ein Nebeneffekt eines Engagements für Gottes Idee von einer besseren Welt.

DIE KIRCHENGESCHICHTE STROTZT VOR HARTEN MÄNNERN UND FRAUEN

Das Christentum fing eigentlich an als eine Hartei-Bewegung. Eine Handvoll Leute, die an einen hingerichteten und auferstandenen Messias glaubten, waren beseelt davon, die Botschaft von der Liebe Gottes in Wort und Tat zu den Menschen zu bringen. Und sie haben einen hohen Preis dafür gezahlt. Fast alle der zwölf Jünger mussten ihr Leben lassen für ihr Engagement im Namen Jesu. Sie wurden gesteinigt, gekreuzigt, geköpft, verbrannt. Man findet unter den Christen aller Zeiten viele todesmutige Männer und Frauen, die alles einsetzten für das Gute in der Welt. Es gibt unzählige Beispiele dafür, wie der Glaube Menschen inspirierte, gegen Unrecht zu kämpfen: Der evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, der sich gegen das nationalsozialistische Regime stellte und von den Nazis gehenkt wurde; der Bürgerrechtler und Pfarrer Martin Luther King, der die Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung in den USA durchsetzte und erschossen wurde; der Priester Damian de Veuster, der sich auf eigenen Wunsch auf eine Leprainsel versetzen liess, um den Kranken dort zu dienen, und der schließlich selbst an Lepra erkrankte; der katholische Pater Maximilian Kolbe, der stellvertretend für einen Familienvater in den Hungerbunker des KZ Auschwitz ging; und das sind nur ein paar Beispiele. Die 2000 Jahre Kirchengeschichte sind auch eine Geschichte der Verfolgung der Anhänger von Jesus. Besonders in unseren Tagen ist es in vielen Teilen der Welt lebensgefährlich, sich zum christlichen Glauben zu bekennen. Das haben die einundzwanzig koptischen Christen fürchterlich erfahren. Ihnen wurden durch Kämpfer des Islamischen Staates am Strand des Mittelmeeres durch Messer die Köpfe vom Leib getrennt – für alle Welt in einem Propagandavideo im Internet zu sehen.

AUCH DER ATHEISMUS ATMET DURCHSCHNITTLICHKEIT

Und Atheisten? Atheismus hat durchaus etwas Kühnes. Schließlich ist ein Atheist jemand, der „ohne unsichtbare Unterstützung auskommen muss“ – so der Entertainer Robert Lemke. Es gehört schon ein signifikantes Quantum Unerschrockenheit dazu, dem Nichts ins tote Auge zu blicken. Also doch eher eine Hartei-Angelegenheit? Philosophen haben den Atheismus vergoldet als eine Haltung, welche die Absurdität und letztliche Sinnlosigkeit des Seins mit todesverachtender Rationalität erträgt. Stolz und selbstbewusst beschwören sie die innere Größe des Menschen, die darin besteht, dem Nichts tapfer zu begegnen. Bei Jean Paul Sartre, dem großen französischen Existentialisten, hatte der Atheismus etwas Heroisches. Heute, wo der Atheismus von den geistigen Höhen genialer Denker in die Niederungen alltäglicher Durchschnittlichkeit und Spießigkeit herabgestiegen ist, verbreitet er Ungeborgenheit und Existenzangst. Eine witzige Szene aus Woody Allens Film „To Rome with Love“ nimmt die „Heidenangst“ des modernen Ungläubigen augenzwinkernd aufs Korn, wenn Woody Allen als Passagier in einem Flugzeug, das gerade heftig durchgeschüttelt wird, furchterfüllt zu seiner Sitznachbarin sagt: „Du kennst das doch, ich kann bei Turbulenzen nicht entspannen. Ich bin schließlich Atheist.“
Nun, Atheisten und Christen sind mutige und feige Menschen wie andere auch. Aber es gibt viele Gründe, dass der Glaube im Menschen Kräfte freisetzt, dem Leben mit seinen Herausforderungen unerschrocken die Stirn zu bieten. Ich bin in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Zwangs-weise habe ich 30 Jahre in einer religionsfeindlichen Diktatur verbracht. Eingekreist von Stacheldraht, Minenfeldern und Selbstschussanlagen waren wir im Lande fast ohnmächtig dem Atheismus als offizieller Staatsdoktrin ausgeliefert. Die Staatssicherheit installierte ein fast perfektes Überwachungssystem. Wer sich eine Überzeugung leistete, die von der Maßgabe der Partei abwich, machte sich verdächtig. Das konnte unangenehm werden. Wer sich zum Glauben an Gott bekannte, musste damit rechnen benachteiligt, ausgegrenzt und verlacht zu werden. Christen durften meistens kein Abitur machen, wurden öffentlich verhöhnt und als dumme Ignoranten und Wissenschaftsfeinde denunziert. Gläubige mit einem hohen Bedürfnis nach Harmonie und Akzeptanz hatten es daher besonders schwer. Wer hat schon Lust, wegen seiner religiösen Überzeugung als Depp dazustehen. Nicht wenige hielten den Druck nicht aus und wandten sich von der Kirche ab. Aktives Christsein bedeutete in der DDR: Gegen den Strom schwimmen, sich eine alternative Überzeugung gegen die atheistische Staatspropaganda leisten, sich mutig zu seinem Glauben bekennen, Nachteile in Kauf nehmen. Als engagierter Christ konnte man es sich nicht leisten, ein Weichei zu sein. Atheisten hatten es leichter. Nicht an Gott zu glauben war opportun.

BIBLISCHE TEXTE ERMUTIGTEN ZUM AUFSTEHEN

Letztlich war es der Mut von Christen, die das atheistische Regime in der DDR zu Fall brachten. Die Geschichte der friedlichen Revolution von 1989 belegt die Kraft und Kreativität des christlichen Glaubens. Wie gelang das Wunder einer Revolution ohne Blutvergießen in Anbetracht eines waffenstarrenden, totalitären, gewaltbereiten, menschenverachtenden Regimes mit seiner allgegenwärtigen Staatssicherheit? Der Grund dafür liegt entscheidend darin, dass das Herz dieses Umsturzes der christliche Glaube war. Die Revolution wurde in den Kirchen des Landes geboren. Zu Tausenden versammelten sich Menschen dort, beteten, diskutierten und hörten das Evangelium des Friedens. Dann zogen sie mit Kerzen auf die Straße, um für Freiheit und für ein Ende des DDR-Regimes zu demonstrieren. Der Ruf nach politischen Veränderungen war durchdrungen von dem Ruf „Keine Gewalt“. Es waren biblische Texte, welche die Akteure in diesen Tagen zum Handeln inspirierten. „Wir hatten mit allem gerechnet, nur nicht mit Kerzen und Gebeten“, kommentierte der Präsident der DDR-Volkskammer die Ereignisse. Um die Stasimitarbeiter im Leipziger Stasi-Hauptgebäude vor der Lynchjustiz einer wütenden Masse zu schützen, bildeten damals Christen eine schützende Menschenkette um den Bau. Sie hatten in den Jahrzehnten der Bedrängnis gelernt, zu ihrer Überzeugung zu stehen. Und mit dieser verteidigten sie sogar das Leben von Stasi-Offizieren.

WIDERSTAND GEHÖRT ZUM CHRISTSEIN

Im wiedervereinigten Deutschland angekommen, fanden wir eine reiche Kirche mit einem armen, weil überzeugungsschwachen Christentum vor. Oft war der Glaube reduziert auf bürgerliche Anständigkeit oder linkes Revoluzzertum. Zu einer Kirche zu gehören, war vor allem in Süddeutschland der Normalfall. Aber die Zeiten haben sich geändert. Inzwischen hat die Säkularisierungswelle, die durch Europa geht, auch in Westdeutschland das gesellschaftliche Klima verändert. Die Kirchen schrumpfen in Ost und West. In weiten Kreisen gilt der christliche Glaube als veraltet, überholt und reformbedürftig. Gleichzeitig werden die Versuche vor allem von evangelischen Kirchenvertretern, das Christentum an die Entwicklungen unserer Zeit anzupassen, verhöhnt oder zumindest nicht ernstgenommen. Den Christen weht zunehmend ein rauer Wind entgegen. Gläubige aus der ehemaligen DDR erleben diese Entwicklung als eine Art Rückkehr zu einem alten Normalzustand. Das Leben und das Denken der Menschen wird von gesellschaftlichen Megatrends geprägt, die oft mit dem Glauben nur schwer zu vereinbaren sind: Ökonomisierung, Sexualisierung und Relativierung von Werten. Glaube verliert an Bedeutung in der Öffentlichkeit und wird immer mehr in die Privatsphäre gedrängt. Spiel und Genuss, Konsum und Freizeit werden zu primären Zielen und zum Religionsersatz. Könnte es sein, dass für die Zukunft wieder Hartei-Christen gefragt sind, Menschen, die um Gottes Willen ihre Knie nicht beugen vor Profitmaximierung, Hedonismus, Fremdenfeindlichkeit und Vergötzung von Wohlstand?

Pfarrer Alexander Garth (www.alexandergarth.de) gründete die Junge Kirche Berlin. Er ist Autor des Buches „Warum ich kein Atheist bin – Glaube für Skeptiker“ (SCM Hänssler).

Karriereabsturz

Er startet motiviert als Führungskraft. Heftige Turbulenzen zwingen ihn, als Mitarbeiter zu landen.

Er kam aus heiterem Himmel. Dieser Satz, den keine Führungskraft jemals hören will: „Ihre Abteilung wird aufgelöst!“ Ja klar, es gab auch organisatorische Gründe, in der Firma wurde „umgebaut“. Aber eben auch diesen einen Grund, den wir Männer so sehr fürchten: Die Abteilung hat nicht die erwarteten Ergebnisse gebracht. Der Abteilungsleiter ist seiner Aufgabe nicht gewachsen. Der Fisch stinkt vom Kopf. Ich hatte es nicht gepackt.

IN DIE MAGENGRUBE

Volle Breitseite! Treffer in die Magengrube! Du Versager! Rückblende. 1999 hatte ich in der Firma angefangen. Ich ging (meistens) gerne zur Arbeit und mochte die Kollegen, das Produkt und das Flair des Unternehmens. Ende 2011 stellte mich mein Chef vor die Entscheidung: Ich könnte zur Führungskraft für eine Handvoll Mitarbeiter werden oder meine Fachaufgaben ausbauen. Führungskraft zu werden klang gut. Ich entschied mich fürs Führen und mein Chef willigte ein. „Reizvoll“, dachte ich. „Das kann ich“, dachte ich.

Ich startete mit Zuversicht, erkannte in der neuen Aufgabe eine „logische“ persönliche Entwicklung und war überzeugt, auf Gottes Weg unterwegs zu sein. Doch je älter das Jahr 2012 wurde, umso schlechter ging es mir. Die Dinge liefen nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ergebnisse blieben aus. Immer höher stapelten sich die Aufgaben auf meinem Tisch. „Selbermachen statt delegieren“ wurde im täglichen Handeln mein unbewusster Leitspruch. „Irgendwie“ musste es wieder besser werden, ich musste mich nur mehr anstrengen, noch hineinwachsen in die neue Aufgabe, strenger mit mir und meinen Mitarbeitern sein. Von heute aus gesehen ein echt dämlicher Ansatz: Aus dem Stress herauskommen, indem ich mich mehr anstrengte …

ANGST VOR DEM MONTAG

Es stellten sich Magenschmerzen und Schlafstörungen ein. Druck am Sonntag wegen des drohenden Montags. Ich zog mich innerlich zurück und hoffte, es würde von alleine aufhören. Meine Frau signalisierte, dass die Familie sich „mehr“ von mir wünschte. Aufgaben in Haus und Garten blieben liegen. Kleinlaut gelobte ich Besserung und schrieb hilflos To-Do-Listen – natürlich ohne nachhaltigen Erfolg.

Und dann kam dieser Donnerstag Anfang Oktober. Kurz vor Mittag war das erwähnte Gespräch, verbunden mit dem Angebot, als Fachkraft im Unternehmen zu bleiben. Es folgten die härtesten drei Monate meines Arbeitslebens. Hart für mich. Hart für meine Frau. Einerseits weiterarbeiten als wäre nichts, andererseits diese bohrenden Fragen: Wie soll es weitergehen? Bleiben oder Gehen? Ein Jobwechsel rückte ins Blickfeld. Sollte ich die Gelegenheit nutzen und „mich verändern“? Natürlich sollte es wieder eine Führungsaufgabe sein! Mein Tagebuch aus dieser Zeit erzählt, dass mein Emotionspendel heftig ausschlug: Von „Lasst mich weiterarbeiten – und wenn ich Pförtner werde“ bis zu „In dieser Firma kann ich nicht bleiben“. Manchmal von einem Tag auf den anderen. Jeder neue Gedanke barg die vage Hoffnung, endlich den entscheidenden Aspekt gefunden zu haben – bis zum nächsten Gedanken.

DIE NERVEN LAGEN BLANK

Meine Frau musste zusehen, wie sie dem Sturm meiner Gedanken standhielt und bei den schnellen Richtungswechseln mitkam. Unsere Nerven lagen blank. Wir stritten. Wir beteten. Wir rangen um Hoffnung und Mut. Meine Frau sprach mir zu: „In dieser Situation liegt eine Chance verborgen“. Ich bin ihr dankbar, dass sie diese Wochen an meiner Seite gestanden, zugehört und wichtige Fragen gestellt hat. Aus dieser Zeit stammen zahllose Gebete in meinem Tagebuch: „Herr, was hast du vor mit uns? Wo ist denn das Leben in Fülle, das du verheißt?“

Im Ringen um eine Entscheidung erkannte ich nach und nach, was eigentlich abging: Zum einen stand meine Glaubwürdigkeit zur Diskussion. Seit Jahren hatte ich an anderen Stellen geführt. Wurde jetzt deutlich, dass ich gar nicht leiten konnte? Alles nur Show? Nun erkennen die anderen, dass ich bloß aus Fassade bestehe! Ich war an einer Urangst des Mannes angekommen, irgendwann ist klar: „Du bist nur ein Schauspieler, ein Poser, mehr Schein als Sein.“ Zum anderen kam eine ebenso einfache wie ernüchternde Erkenntnis zu Tage: Ich kämpfte mit verletztem Stolz. Sollte ich nicht in der Lage sein, in der Firma Menschen zu führen? Wenn „die in der Firma“ nicht sehen wollten, was ich kann, „dann gehe ich eben und suche mir Leute, die meine Fähigkeiten zu schätzen wissen!“ Ist verletzter Stolz ein guter Grund, aufzugeben und viel Gutes zurückzulassen? Brauchte mein Ego den Chefsessel?

Ende 2012 kristallisierte sich endlich die Entscheidung heraus: Ich bleibe! Ich „brauche“ es nicht, im Job eine Führungsposition zu haben. Zu viel Kostbares würde ich opfern, wenn ich ginge. Gott sprach in dieser Zeit viel über meine Identität. Dass ich vergessen hatte, wer ich bin und was wirklich zählt. Dass er mich bewusst geschaffen und in diese Zeit gesetzt hat. Dass er mir Stärke gegeben hat. Und dass ich einen Auftrag habe.

DANKBARKEIT BLEIBT

Im Rückblick erkenne ich, dass es gut war, zu bleiben. Meine Fachaufgaben wandeln sich. Sie machen mir Spaß. Zudem empfinde ich es als große Erleichterung, nicht mehr den Druck der Führungskraft zu spüren. Ich schlafe wieder gut. Und auch die Magenschmerzen sind weg. Noch etwas empfinde ich: Dankbarkeit, dass ein anderer erkannt hat, dass ich der Aufgabe nicht gewachsen war. Das war der erste Anstoß für einen wichtigen Prozess und Auslöser für gute Fragen, denen ich mich stellen musste. Hätte er nicht die Notbremse gezogen – ich weiß nicht, wie lange ich noch gebraucht hätte, um meine Überforderung zu erkennen. Was bis dahin alles auf der Strecke geblieben wäre, kann ich nicht ermessen. Vielleicht kommt noch eine Zeit als Führungskraft. Aber wenn nicht, auch gut. Auch ohne sichtbare Karriere führe ich ein großartiges Leben, gefüllt mit Ehe, Familie, Arbeit und privatem Engagement. Auch diese Dinge fordern mich heraus und erfüllen mich. Und zuletzt: Über allem steht meine Identität. Die kann mir nichts und niemand nehmen. Sie hängt nicht an Leistung und Position, sondern an Gottes Bild von mir. Dieses Bild bleibt, auch wenn alle Abteilungen der Welt aufgelöst werden.

Jan-Hendrik Krause ist Informatiker und lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Lübeck. Er gehört zum Leitungsteam von FreeatHeart Deutschland (www.freeatheart.de).

 

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JAHR DER DANKBARKEIT
Die überkonfessionelle Initiative „Jahr der Dankbarkeit“ will lebensbejahende, geistliche und ermutigende Akzente setzen gegen Gleichgültigkeit und das alltägliche Vergessen (www.jahr-der-dankbarkeit.net).