Berufung – JOYCE https://www.joyce-magazin.net Was Frauen inspiriert - das christliche Magazin JOYCE. Fri, 26 Oct 2018 07:15:49 +0000 de-DE hourly 1 Vom Beruf zur Berufung https://www.joyce-magazin.net/2018/09/05/vom-beruf-zur-berufung/ Wed, 05 Sep 2018 13:42:04 +0000 https://www.movo.net/?p=3340
Berufung ist immer individuell. Mathias Morgenthaler rät daher Suchenden: „Hören Sie auf Bauch und Herz.“

Leben Sie Ihre Berufung?
(lacht) Ich versuche es. Seine Berufung zu finden, ist eine lebenslange Annäherung und Suche. Ja, ich lebe meine Berufung mit den Themen und Menschen, die mir wichtig sind. Ich stelle mir aber auch alle paar Wochen wieder die Frage: Was will ich weglassen? Was will ich Neues tun? Es bleibt eine lebenslange Entwicklungs- und Entdeckungsreise.

Es gibt zahlreiche Ratgeber mit Methoden und Konzepten, um seine Berufung zu finden …
Ratschläge sind immer auch Schläge. Menschen mögen schnelle Rezepte. Bei Kochsendungen mag das funktionieren, aber bei „Berufung-leben-in-sieben- Schritten-und-dann-wird-es-gut“ werde ich misstrauisch. Berufung ist immer individuell. Das gibt’s nicht von der Stange. Ratgeber verkaufen sich gut, aber deren Wirksamkeit bezweifle ich.

Ist Berufung nicht ein Luxusproblem der westlichen Welt?
Ja, mit Blick auf den chinesischen Wanderarbeiter oder den afrikanischen Bauern ist es eine Luxusfrage. Aber gerade weil wir in Europa privilegiert sind, sollten wir die Zeit nicht damit vergeuden, einen Job zu machen, der uns überhaupt nicht erfüllt. Richtig ist aber auch: Armut ist ein starker Antrieb für unternehmerische Initiative. Wer im Luxus lebt, muss sich nicht bewegen, wird eher träge. Wir in der Schweiz sind deshalb Versicherungsweltmeister …

Die Frage nach der eigenen Berufung bewegt viele Männer, aber sie haben keine Zeit, sie anzupacken …
Das ist ein Totschlagargument. Wir haben alle 24 Stunden Zeit pro Tag. Für das, was mir wichtig ist, sollte ich mir Zeit nehmen. Sonst denke ich erst am Lebensende darüber nach, was mir eigentlich wichtig gewesen wäre. Und ärgere mich, nicht mein eigenes Leben gelebt zu haben.

Wie erlange ich die Freiheit, zu Lebzeiten das zu tun, was mir wichtig ist?
Es gibt zwei starke Kräfte, die uns in Bewegung bringen: Leidensdruck und Sehnsucht. Die erste wirkt unmittelbarer, die zweite nachhaltiger. Viele Leute können zwar sagen, was sie nicht mehr möchten, aber die wenigsten wissen oder trauen sich überhaupt zu fragen, was sie wirklich von ganzem Herzen wollen. Diese Frage ist nie dringlich, aber sie ist wichtig wie keine andere, weil die Antwort darüber entscheidet, wie bewusst wir unsere Lebenszeit nutzen. Oft hilft es, sich „Inseln“ zu suchen, um der Antwort näher zu kommen.

„Inseln“?
Auszeiten vom hektischen Alltag. Das können Spaziergänge sein, Meditationen, Zeiten der Stille oder Coaching-Gespräche.

Worin sehen Sie die größte Schwierigkeit bei diesem Unterfangen?
Die Frage „Was will ich wirklich?“ ist keine banale Frage. Wer sie sich ernsthaft stellt, kann die Verantwortung für das, was in seinem Leben passiert, nicht länger auf andere schieben. Er weiß, dass er in der Pflicht ist, dass die Zeit der Ausreden vorbei ist. Das ist erst einmal sehr anstrengend, aber später auch sehr beglückend.

Ist der Weg immer von Erfolg gekrönt?
Nein! Auch das Scheitern gehört dazu, und das ist weniger schlimm, als wir meinen. Dank dem eindrücklichen Buch „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ wissen wir, dass es weniger schlimm ist, mit Herzensprojekten zu scheitern, als etwas gar nicht zu wagen, obwohl es uns wichtig wäre. Erfolg ist, wenn man die richtigen Dinge tut, auch wenn man nicht in der Hand hat, was draus wird.

Wie würden Sie Karriere definieren?
Das Wort „Karriere“ verwende ich ungern. Es ist für mich zu sehr an einen Status gekoppelt. Von außen gesehen mag jemand ganz oben angekommen sein. Er hat Karriere gemacht, aber er ist zutiefst unglücklich in seinem Job. Karriere beinhaltet nicht automatisch Lebensqualität.

Füllen Sie es mal positiv …
Eine gute Karriere ist für mich, wenn man das macht, was einen ausfüllt; dass man etwas bewegen, seine Gaben und Fähigkeiten ausleben kann.

Von Ihnen stammt der Satz „Es bringt nichts, den Platz im Gefängnis zu optimieren“. Was wollen Sie damit ausdrücken?
Oft kommen Menschen zu mir ins Coaching, die erfolgreich die Karriereleiter hochgeklettert sind. Plötzlich stellen sie fest: Ich habe viel Geld, viel Anerkennung, viel Verantwortung, aber mein Leben ist irgendwie leer, ich sehe keinen Sinn in meiner Tätigkeit. Da bringt es wenig, in einer anderen Firma das Gleiche zu tun. Da hilft manchmal nur der Sprung „out of the box“, der Ausbruch aus dem goldenen Gefängnis.

Die Arbeitswelt und das Männerleben bestehen nun nicht nur aus Unternehmern und Führungskräften. Was kann Berufung für LKW-Fahrer, Bäcker oder Maschinenschlosser bedeuten?
(Stille) Sehr gute Frage. Die Ware pünktlich zu liefern, ausgezeichnete Brötchen zu backen oder auch Maschinenteile für einen Fahrstuhl zu bauen, kann doch eine wunderbare Berufung sein. Berufung ist nicht nur ein Thema für Künstler und Manager.

So ganz bin ich noch nicht zufrieden. Stellen Sie sich vor, es kommt ein Gartenbauer zu Ihnen, der sagt: Helfen Sie mir, meine Lebensberufung zu finden. Was sagen Sie dem?
Ich würde ihn fragen: Was von dem, was du lebst, ist stimmig, und wo musst du dich verbiegen? Entscheidend ist doch die Frage: Mache ich diese Aufgabe, weil ich Spaß dran habe und gerne in der Natur bin, oder weil meine Eltern unbedingt wollten, dass ich genau diesen Job mache, oder weil ich nach der Schule einfach eine schnelle, zufällige Entscheidung getroffen habe?

Muss ich immer gleich aussteigen?
Nein, oft bewähren sich auch sanfte Übergänge. Pensum reduzieren, Freizeitaktivitäten mehr Gewicht geben, ein zweites Standbein aufbauen. Man kann gut ein Projekt, eine kleine Veränderung anstoßen, ohne gleich den sicheren Job zu kündigen.

Was ist der erste Schritt, wenn ich sage: Ja, ich will meine Berufung leben?
Schauen und spüren Sie nach innen. Gerade Männer sind es gewohnt, rational zu entscheiden, sich auf die Vernunft zu stützen. Das hilft, wenn man Probleme in seinem Projekt lösen muss, aber es hilft mir nicht dabei, herauszufinden, was gut für mich ist. Und es bringt mich nicht in Bewegung. Um seine Berufung zu finden, braucht es Bauch und Herz. Horchen Sie in sich hinein: Was sind da für Ängste, welche Träume? Was berührt Sie? Wonach sehnen Sie sich? Seine Berufung zu finden, ist nicht in erster Linie eine Denkarbeit. Im Zentrum stehen Intuition, Mut und Offenheit.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Rüdiger Jope ist Chefredakteur des Männermagazins MOVO.

Mathias Morgenthaler hat in den letzten 20 Jahren über 1.000 Interviews mit bekannten und unbekannten Unternehmerpersönlichkeiten zum Thema Beruf und Berufung geführt. Seine Porträts erscheinen wöchentlich in vier Schweizer Zeitungen und erreichen gut 2 Millionen Leserinnen und Leser. Er ist Autor der Bestseller „Out of the Box“, „Aussteigen – Umsteigen“ und „Beruf und Berufung“. Morgenthaler ist ein gefragter Referent, Moderator und Interviewpartner in den Themenbereichen: Berufung finden, berufliche Neuorientierung, Arbeitswelt der Zukunft, Motivation am Arbeitsplatz, Strategien erfolgreicher Unternehmer, Umgang mit Medien. www.beruf-berufung.ch

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In den Sand gesetzt https://www.joyce-magazin.net/2018/08/29/in-den-sand-gesetzt/ Wed, 29 Aug 2018 13:12:02 +0000 https://www.movo.net/?p=3308
Der Prophet Jeremia – zum Scheitern berufen

„Ich habe meine Berufung gefunden! Meine Arbeit ist wunderbar und gesegnet!“ Begeistert erzählt Felix von seinem Engagement im Jugendkreis. Kein Wunder: Seit er dabei ist, hat sich die Zahl der Jugendlichen verdoppelt. Zehn Kilometer entfernt lebt Tristus. Vor sieben Jahren nahm er eine neue Arbeitsstelle an, nachdem er lange im Gebet darum gerungen hatte. Jetzt aber muss er eine traurige Bilanz ziehen: „Ich konnte meine Ideen nicht einbringen, weder gute Kontakte aufbauen noch einen einzigen Kollegen in die Gemeinde einladen. Ich bin ausgelaugt und fühle mich am falschen Ort!“

Felix und Tristus sind keine Einzelfälle. Wer erfolgreich ist, sieht seine Berufung bestätigt. Wer scheinbar scheitert, zweifelt an ihr. Die Gleichung, die im Hintergrund steht, ist einfach und klingt wie eine geistliche Weisheit: „Wer seiner Berufung folgt, hat Freude und Erfolg!“

Jedoch: Könnte es sein, dass diese „Weisheit“ in der Verallgemeinerung mehr menschlich als göttlich ist? Denn die Kehrseite lautet: „Wer scheitert, hat versagt.“ Wäre es stattdessen denkbar, dass Gott Menschen in eine Aufgabe sendet, obwohl er voraussieht: Nach menschlichen Maßstäben werden sie erfolglos bleiben? Gibt es eine Berufung, die zum Scheitern führt oder – sagen wir es vorsichtiger – Misserfolge beinhaltet?

JEREMIA – DER GESCHEITERTE PROPHET
Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: Ja, vielleicht öfter, als wir wollen. Zumindest finden sich in der Bibel einige Beispiele. Paulus muss in seinem letzten Brief schmerzlich feststellen: „Das weißt du, dass sich von mir abgewandt haben alle, die in der Provinz Asia sind“ (2. Timotheus 1,15). Nachhaltiger Erfolg klingt anders. Und wie erfolgreich war Johannes der Täufer? Durch seine Berufung zum Wegbereiter des Messias verlor er seinen Kopf, weil ein vorlauter und erotisch aufgeheizter König sein Gesicht wahren wollte (Matthäus 14,1-12).

Die biblische Gestalt, die nach menschlichen Maßstäben am wenigsten Erfolg hatte, ist der Prophet Jeremia – ein Priestersohn aus dem kleinen judäischen Dorf Anatot, nördlich von Jerusalem. Die Geschichte seines Scheiterns ist ein Drama in fünf Akten und erstreckt sich über die lange Zeit von über 40 Jahren.

1. AKT: BERUFEN UND GEFORDERT
Jeremia ist noch jung, als Gott ihn zum Propheten beruft. Sein Auftrag lautet: Gottes Gericht predigen und zur Umkehr rufen. Dabei soll sich Jeremia den Königen und Mächtigen in Jerusalem ebenso entgegenstellen wie dem Volk des Landes und seiner Heimatstadt. Gott verschweigt nicht, dass Jeremia mit großem Widerstand zu rechnen hat und seine Berufung alles von ihm fordern wird. Gott redet Klartext. Kein Wunder, dass sich Jeremia zu unerfahren fühlt. Darum gibt ihm Gott gleich zu Anfang drei Versprechen: Er selbst gibt Jeremia die Worte, die er reden soll; er wird über sein Wort wachen, so wie der Mandelzweig im Frühling erwacht; und schließlich sagt er: „Ich bin bei dir, dass ich dich errette.“ (Jeremia 1,8.19) Mit diesen Zusagen schickt er Jeremia in seine Mission.

„Keiner hat gesagt, dass es leicht wird!“ So kommentieren Fußballtrainer zur Halbzeitpause manchmal den Kampf ihrer Mannschaft, wenn das Spiel gegen den Favoriten alles fordert. Auch wir müssen klar sehen: Keiner hat gesagt, dass es leicht ist, seiner Berufung gerecht zu werden, Jesus konsequent nachzufolgen, ein guter Ehemann, Vater, Freund und Arbeitskollege zu sein.

2. AKT: ENTTÄUSCHT UND VERSPOTTET
Jeremia hält seine ersten Predigten (v. a. Jeremia 1-6) in der Regierungszeit des Königs Josia (639-609 v. Chr.). Wie es seinem Auftrag entspricht, konfrontiert er das ganze Volk. Seine Anklagen sind hart. Die Menschen wenden dem lebendigen Gott den Rücken zu und hängen sich an die nutzlosen Götzen der Nachbarvölker. Die Reichen unterdrücken die Armen. Ehebruch und Treulosigkeit sind weit verbreitet. Vor allem die Priester, Propheten und Fürsten haben versagt. Denn sie wiegen das Volk in falscher Sicherheit, anstatt es zur Umkehr zu rufen. Darum droht allen der Untergang. In einer Vision zeigte Gott Jeremia das kommende Unheil: den Feind aus dem Norden. Wie ein Kessel mit kochendem Inhalt wird er sich über Juda und Jerusalem ergießen, wenn das Volk nicht zu Gott zurückkehrt. Jeremia leidet doppelt: mit dem Volk unter dem angedrohten Gericht Gottes, und mit Gott unter dem Abfall des Volkes. Sein Kummer bereitet ihm innere Schmerzen.

Für eine kurze Zeit sieht es so aus, als ob Jeremia mit seiner Predigt Erfolg hat. Bei Bauarbeiten im Tempel wird eine Schriftrolle gefunden. König Josia liest sie und bekehrt sich zu Gott. Er lässt die fremden Heiligtümer im Land zerstören, die Götzen aus dem Tempel entfernen und einen Bußgottesdienst feiern (2. Könige 22-23). Jeremia muss aber feststellen, dass die Rückkehr zu Gott nur oberflächlich ist und nicht von Herzen kommt (Jeremia 3,10). Wieder nimmt er die Priester und Propheten besonders in die Kritik. Sie predigen eine falsche Sicherheit und haben damit Erfolg. Denn der Feind aus dem Norden, den Jeremia angekündigt hat, erscheint nicht. Im Gegenteil. Das assyrische Großreich schwächelt. Die unterworfenen Königreiche machen sich unabhängig. Auch König Josia nutzt die Chance und baut seine Macht aus. Für Jeremia hat das Volk nur noch Spott übrig.

Als Josia in einem Anflug politischer Fehleinschätzung einem ägyptischen Heer entgegentritt und tödlich verwundet wird, verliert Jeremia nicht nur eine schützende Hand, sondern auch alle Hoffnungen, die sich mit diesem König verbunden hatten. Von nun an geht es für ihn nur noch bergab.

3. AKT: GEMOBBT UND BEDROHT
Unter den nachfolgenden Königen Joahas und Jojakim setzt sich die Abkehr des Volkes von Gott fort. Jeremia erhält einen besonderen Auftrag: Er soll öffentlich im Tempel predigen und mit seiner Zerstörung drohen (Jeremia 7-10; 26). Doch die Reaktion auf Jeremias Predigt ist anders als erhofft. König Jojakim lässt sich die Rede vorlesen, verbrennt die Schriftrolle aber sofort. Die direkten Zuhörer werden aggressiv, ergreifen Jeremia und wollen ihn töten. Nur durch die Fürsprache einiger Ältesten kommt Jeremia mit dem Leben davon. Doch der Schock sitzt tief. Der Gehorsam gegenüber Gott und seinem Wort hat ihn in Todesgefahr gebracht – scheinbar umsonst.

Und doch war dies erst der Anfang. In seinem Heimatort Anatot bedrohen ihn die Menschen, seine eigenen Nachbarn und Verwandten! Der Priester Paschhur, Oberaufseher im Tempel und damit Jeremias Chef, lässt ihn auspeitschen und gefangen nehmen. Eine Nacht lang liegt Jeremia bewegungslos auf dem Boden, die Hände und Füße in einen Holzblock gelegt (Jeremia 20).

Das alles erleidet er nicht mit dem Glorienschein eines unerschütterlichen Helden. Nein, er zeigt Schwäche und Verletzlichkeit, offenbart seine Wunden, Angst und Zweifel. Das Buch Jeremia enthält fünf Gebete, in denen der Prophet Gott seinen Frust klagt (11,18-12,4; 14,10-18; 17,14-18; 18,18-23; 20,7-18). Er ist kurz davor, seinen ganzen Auftrag hinzuschmeißen, so sehr belasten ihn der Spott und die Angriffe seiner Gegner. Er fühlt sich von Gott betrogen und verflucht den Tag seiner Geburt.

Auf die scharfen Worte könnte man eine scharfe Zurechtweisung erwarten. Doch Gott lässt die Klagen zu. Er stellt sich zu seinem Boten und bestätigt seine Berufung (Jeremia 17,19-21) – und das nach über 20 Jahren Misserfolg! Gott macht Jeremia damit klar: Du hast nicht versagt! Die Vergeblichkeit deines Tuns ist Teil deiner Berufung – so schwer das auch zu ertragen ist.

Was können wir Männer des 21. Jahrhunderts von Jeremia lernen? Allzu oft nehmen wir Rückschläge äußerlich heroisch hin, während wir uns innerlich als Versager anklagen. Jeremia zeigt uns, wie man in Niederlagen und im Scheitern beten kann: Den Frust ehrlich zugeben und mit Gott darum ringen, dass er die Berufung bestätigt oder eben auch einen anderen Weg zeigt.

4. AKT: VERLEUMDET UND ENTSORGT
Im Jahr 597 v. Chr. kommt das angekündigte Gericht in Gestalt des babylonischen Königs Nebukadnezar, dem neuen angehenden Weltherrscher. Jerusalem wird belagert, erobert und geplündert, die Oberschicht nach Babylon verschleppt. Zurück bleiben verängstigte Bewohner, regiert von König Zedekia. Obwohl Jeremias Prophetie sich als wahr erwiesen hat, wird er weiterhin verachtet und seine Botschaft verspottet.

Wieder kommt es zu einer politischen Fehleinschätzung durch den König. Zedekia verbündet sich mit dem ägyptischen Pharao und rebelliert gegen Nebukadnezar. Jeremias Protest und Warnung bleiben ohne Wirkung. Falsche Propheten treten auf, widersprechen ihm und ermutigen das Volk zum Aufstand. Es dauert nicht lange und Nebukadnezar zieht erneut mit einem großen Heer Richtung Jerusalem. Jeremia sieht nur eine Chance, vielen Menschen das Leben zu retten: Er ruft im Namen und Auftrag Gottes die Bevölkerung zur Flucht und die Soldaten zur Desertion auf. Nur wenige folgen seinem Rat. Jeremia zahlt einen hohen Preis dafür. Er wird als Verräter gebrandmarkt, geschlagen und in eine verschlammte Zisterne geworfen. Man kann sich ausmalen, wie schlecht ein politischer Gefangener während einer Belagerung versorgt wird.

Endlich bekommt Jeremia noch eine Chance. König Zedekia trifft sich heimlich mit ihm im Tempel. Jeremia beschwört ihn eindringlich, die Stadt kampflos zu übergeben und so viele Menschenleben zu retten (Jeremia 38). Doch Jeremias Seelsorge bleibt ebenso erfolglos wie seine öffentlichen Predigten. Kurze Zeit später, im Jahr 587 v. Chr., wird Jerusalem vollständig vernichtet.

Ist es nicht bemerkenswert, dass Jeremia sich immer noch und immer wieder Gott zur Verfügung stellt? Er gibt selbst nach 40 Jahren die Hoffnung nicht auf, dass Gott seinen Worten die Wirkung schenken wird, auf die er schon so lange vergeblich hofft. Das ist eine bewundernswerte Treue, zu der sich Jeremia freilich – wie wir gesehen haben – immer wieder durchkämpfen musste.

5. AKT: VERSCHLEPPT UND VERSCHOLLEN
Doch immer noch ist Jeremias Leidensgeschichte nicht zu Ende. Eine Splittergruppe radikaler Widerstandskämpfer ermordet den babylonischen Statthalter Gedalja. Die wenigen übrig gebliebenen Einwohner wollen aus Angst vor Racheakten nach Ägypten fliehen. Wieder ist Jeremia von Gott zum Protest berufen. Wieder wird er nicht gehört, obwohl sich bisher alle seine Prophetien als wahr erwiesen hatten.

Doch damit nicht genug: Jeremia wird mit nach Ägypten verschleppt. Dort muss er miterleben, wie sein Volk sich den Göttern Ägyptens zuwendet und scheinbar nichts aus der Geschichte gelernt hat. Seine letzte Predigt wiederholt die Botschaft, die er schon jahrzehntelang erfolglos verkündete. Damit verliert sich seine Spur im Alten Testament. Er ist wohl nie nach Jerusalem zurückgekehrt.

EINE FRAGE DER PERSPEKTIVE
Jeremia gilt als der gescheiterte Prophet. In keinem Moment seines Lebens sah er den Erfolg seines Wirkens. Doch er war weder unbegabt noch hat er versagt. Jeremia war zum Scheitern berufen. Das erzählt uns seine Geschichte, wie sie im Buch Jeremia aufgeschrieben ist.

Weiten wir aber unseren Blick und lesen sie im Zusammenhang der ganzen Bibel, zeigt sich ein anderes Bild. Jeremia hat der Nachwelt Worte hinterlassen, deren Sprachkraft und Bildreichtum einzigartig sind. Seine Anklagen und Gerichtsdrohungen vermitteln den Generationen nach ihm eindrücklich, dass die Abkehr von Gott kein leichtfertiges Unternehmen ist. Seine Vorhersagen über die Zukunft haben sich schließlich in Jesus erfüllt: der neue ewige Bund der Vergebung, den Gott mit seinem Volk schließt (Jeremia 31,31-34). Bei jedem Abendmahl hören wir, vermittelt durch Jesu Einsetzungsworte, auch Jeremias Stimme!

Seit Jeremia haben viele Menschen diese Erfahrung gemacht: Was für uns selbst nach erfolglosem Scheitern aussieht, erweist sich aus Gottes Perspektive manchmal als treues und segensreiches Wirken. Gott hat einen langen Atem! Zweifeln wir also nicht zu schnell an unserer Berufung, wenn wir in unserer Kurzatmigkeit keinen schnellen Erfolg sehen.

Dr. Dirk Kellner lebt mit seiner Familie in Steinen. Er ist Pfarrer der Evangelischen Landeskirche Badens (www.ekstei.de). Wenn „der Berg ruft“, kann ihn kaum etwas halten, bis er zu Fuß oder mit dem Bike auf dem Gipfel steht.

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