»Bordell Deutschland«

Manche nennen es das »älteste Gewerbe der Welt«, sprechen von »Bordsteinschwalben« und von »käuflicher Liebe«. Uwe Heimowski ärgert dies, denn mit den schönen Worten wird die Wirklichkeit von Prostitution und Menschenhandel verschleiert.

„Sexarbeit“ wird uns von Lobbyisten in Talkshows und auf Hochglanzbroschüren als seriös, lukrativ, glamourös, die Frauen als selbstbestimmt präsentiert. Und ja, natürlich: Es gibt sie, die gut verdienenden, freiwillig arbeitenden „pretty women“ in den Escort- Services. Für den Großteil der Frauen sieht die Realität aber vollkommen anders aus. Hinter den rot erleuchteten Schaufenstern leben Frauen, etliche missbraucht, erniedrigt und ausgebeutet.

ZWANGSPROSTITUTION IN NEUN VON ZEHN FÄLLEN
Die Zahl der Prostituierten in Deutschland wächst seit Jahren. Das Geschäft mit der Ware Sex blüht und macht – zweifelhafte – Schlagzeilen: „Bordell Deutschland“ (Der Spiegel). Die genaue Zahl der „Sexarbeiterinnen“ ist nicht bekannt. Mafiöse Strukturen machen solide Schätzungen fast unmöglich. Experten gehen aber davon aus, dass mindestens 200.000 Prostituierte in Deutschland tätig sind. Die meisten davon gegen ihren Willen. Christian Zabel, Leiter Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt Niedersachsen, schätzt ein, dass sexuelle Dienstleistungen in neun von zehn Fällen durch eine Zwangsprostituierte angeboten werden. Andere gehen von einem etwas geringeren Anteil aus. Doch selbst wenn es „nur“ die Hälfte wäre: Fünf von zehn Frauen werden zum Sex gezwungen. Mindestens 100.000 Frauen werden gegen ihren Willen prostituiert. Mitten in unserer Gesellschaft, ohne, dass wir groß Notiz davon nehmen. Die Verschleierung hat Methode. Milliarden werden in der Sex-Branche verdient. Das Statistische Bundesamt schätzt, dass in Deutschland jährlich 14,6 Milliarden Euro umgesetzt werden. Durch eine einzige Frau kann nach Angaben des BKA jährlich ein Gewinn von 35.000 bis 100.000 Euro erzielt werden. Dazu kommen die rasant wachsenden Umsätze in der Pornoindustrie. Geld, das die Zuhälter oder Bordellbesitzer einnehmen; bei Zwangsprostituierten kommt nur ein Bruchteil an, häufig reicht das kaum zum Leben. Soviel zur Lage – nun zur Politik. Deutschland hat eines der liberalsten Prostitutionsgesetze der Welt. Als dieses Gesetz 2002 auf den Weg gebracht wurde, war es eigentlich gut gemeint: Die Rechte von Prostituierten sollten gestärkt, ihr Gewerbe als Beruf anerkannt und Sozialversicherungen, Altersvorsorge und Gesundheitsschutz ermöglicht werden. Doch wurde die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der „Runde Tisch Prostitution Nordrhein-Westfalen“ stellte 2014 fest, dass 99 Prozent der Prostituierten die Möglichkeit einer sozialversicherten Beschäftigung nicht angenommen haben. Wie auch, wenn sie gegen ihren Willen verschleppt wurden oder mit falschen Papieren anschaffen gehen müssen? So hat das Gesetz letztlich dazu geführt, dass Prostitution in Deutschland den Anstrich eines „ganz normalen“ Gewerbes bekam, während hinter der Fassade Zwangsprostitution und Menschenhandel ein nie gekanntes Ausmaß annehmen konnten.

AUFSTEHEN GEGEN DEN MENSCHENHANDEL
Im März 2016 stellte die Bundesregierung nun zwei neue Gesetzesentwürfe vor: Ein Prostituiertenschutzgesetz und ein „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie […] des Europäischen Parlaments und des Rates […] zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer“. Im Prostituiertenschutzgesetz werden einige dringend erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Frauen auf den Weg gebracht: Ein Verbot „menschenunwürdiger Geschäftsmodelle“ (z.B. Flatrate-Sex oder sogenannte „Gang-Bangs“, letztlich nichts anderes als Gruppenvergewaltigungen), regelmäßige Gesundheitsberatungen, und damit verbindlichen Kontakt zu staatlichen Institutionen, oder eine Kondompflicht für „Sexkäufer“. Im Entwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie zum Menschenhandel ist u.a. eine Bestrafung von Freiern vorgesehen, die wissentlich und willentlich Betroffene von Menschenhandel missbrauchen. Das sind Maßnahmen, die helfen können, das Ausmaß von Zwangsprostitution einzudämmen. Doch es gibt weiterhin Handlungsbedarf. Einige Forderungen hat der Verein „Gemeinsam gegen Menschenhandel“ formuliert: Viele der Opfer sind unter 21 Jahre alt, daher ist eine Heraufsetzung des Schutzalters auf 21 Jahre notwendig. Auch müssen Aussteigerprogramme und Schutzhäuser für Frauen besser ausgestattet werden. Oder wir machen es so: Das französische Parlament hat am 6. April eine „Freierbestrafung“ beschlossen, ein generelles Verbot von Sexkauf, bei dem die Sexkäufer bestraft werden und nicht die Frauen, wie es in Schweden bereits seit einigen Jahren praktiziert wird.

DEN FRAUEN IHRE WÜRDE LASSEN
Was kann Man(n) tun? Wie können wir politisch Einfluss nehmen? Etwa, indem wir Briefe an Abgeordnete schreiben. Muster dafür finden sich auf www.gemeinsamgegen- menschenhandel.de. Und vor allem sollte Mann etwas nicht tun. Wenn wir die Mechanismen hinter dem Sexgewerbe verstehen, sollte einleuchten: Wer Dienstleistungen von Prostituierten in Anspruch nimmt oder Pornos konsumiert, der verletzt die Würde von Frauen. Also: Finger weg! Wie überall gilt auch hier: Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Es liegt an uns Männern, diesen „(Sklaven-)Markt“ trockenzulegen.

Uwe Heimowski (52) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich. Zum 01.10.2016 übernimmt der Stadtrat und Vater von fünf Kindern die Aufgabe des Beauftragten für die Deutsche Evangelische Allianz beim Deutschen Bundestag. Mit seinem Buch „Der verdrängte Skandal – Menschenhandel in Deutschland“ (Brendow) lädt er zum Handeln ein.

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